Vampyr REVIEW
Die Figur des Vampirs ist eine der populärsten im Horror-Genre. Nachdem der Mythos in den vergangenen Jahren aber vor allem im Rahmen von seichter Jugendliteratur (Twillight) verhandelt wurde, litt der Ruf der blutsaugenden Nachtwesen in der allgemeinen Wahrnehmung. Das der Vampir als tragendes Motiv einer Geschichte noch immer taugt, beweist aktuell das französische Studio Dontnod mit Vampyr. Die Macher von Remember Me und Life is Strange verlassen sich dabei auf einen vergleichsweise klassischen Ansatz, der vor allem an Bram Stoker´s Dracula erinnert, sich aber gleichzeitig auch an Themen wagt, die aktuelle Relevanz haben.
So finster die Nacht
Im London des Jahres 1918 wütet, wie auch in vielen anderen Teilen Europas, die Spanische Grippe. Aktuellen Schätzungen zufolge forderte die Pandemie in der Zeit von 1918-1920 über 50. Millionen Menschenleben. Entsprechend groß ist die Angst unter der Bevölkerung, auch nur einen Schritt vor die eigene Haustür zu wagen. Doch da ist mehr, dass auf den Straßen Londons sein Unwesen treibt. Menschen verschwinden spurlos, grausame Morde geschehen, seltsame Gerüchte machen die Runde. Gerüchte von Bestien, Kreaturen der Nacht. Von Vampiren. Wie viel Wahrheit in diesen Erzählungen steckt, erfährt Jonathan Reid, der gerade von der Weltkriegsfront zurückgekehrt ist, alsbald am eigenen Leib. Anstatt im eigenen Heim, findet er sich nämlich kurz nach seiner Ankunft in einem Massengrab wieder. Vollkommen orientierungslos und mit einem Filmriss, entsteigt Reid – wortwörtlich – den Leichen, verspürt einen unbändigen Durst nach Blut und hat seltsame Visionen. Was ist bloß geschehen?
Das Reid selbst zum Blutsauger gemacht wurde, ist dem Spieler natürlich bereits während des noch laufenden Intros klar und auch dem Arzt mit Schwerpunkt auf Bluttransfusionen – was für ein Zufall – dämmert alsbald, dass sich sein Leben fortan radikal ändern wird. Im Zentrum von Vampyr steht dabei fast schon weniger das wieso und warum, als vielmehr die moralischen Fragen, die mit Reids neuem Schicksal einhergehen. Das man ausgerechnet einen Arzt spielt, dessen Aufgabe eigentlich das Beschützen und Retten von Menschen ist, ist ein interessanter Kniff, der eng mit elementaren Spielsystemen verknüpft wird.
Saugen oder nicht Saugen, das ist hier die Frage
Man kann jeden Nicht-Spieler-Charakter in Vampyr seines Blutes und Lebens berauben. So wird nicht nur der Durst von Reid gestillt, auch bekommt man einen großen Batzen Erfahrungspunkte gutgeschrieben, die man wiederum in diverse Fähigkeiten und Attribute eintauschen kann. Zwar bekommt man Erfahrungspunkte auch durch das erfolgreiche Abschließen von Haupt- und Nebenaufgaben, das Aussaugen von Zivilisten ist jedoch weitaus ertragreicher. Also Zähne fletschen und rein in den Hals? So einfach ist es dann doch nicht.
Ähnlich, wie schon bei Life is Strange, ist die Charakterzeichnung auch in Vampyr eine der maßgeblichen Stärken. Statisten gibt es hier nicht, jede Figur, die man trifft, hat eine eigene Backstory und Profil und wirkt dadurch einzigartig. Im Krankenhaus, in welchem Reid als Arzt angeheuert wird, trifft man etwa auf einen Arbeiter, der verletzt ist und nun seine Familie nicht mehr ernähren kann. Nicht nur warten daheim die jungen Kinder, auch ist die Frau bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, wie mir der Mann erzählt. Will man wirklich einen Familienvater töten, nur für ein paar Erfahrungspunkte? Oder wie ist es mit der trauernden Witwe, die man auf einem herrlich schaurigen Friedhof antrifft? Nutzt man ihr Vertrauen aus, um sie im Schutze der Nacht zu massakrieren? Gleichzeitig trifft man aber auch auf zwielichtige Gestalten und regelrechte Arschlöcher, wie beispielsweise einem Kleinkriminellen, der vor meinen Augen jemanden in die kalte Themse geworfen hat. Doch selbst bei solch miesen Gestalten hat es mir das Spiel nie ganz leicht gemacht. Zumal man jeden Charakter über die Spielzeit immer besser kennenlernt und so mehr über die jeweilige Denke herausfindet.
Souls-light
Verzichtet man auf den Erfahrungspunkte-Regen, so soll Vampyr laut eigener Aussage schwieriger werden. Somit koppeln Dontnod also nicht nur ihr Moralsystem an die Entscheidung für oder gegen das Töten von Zivilisten, sondern auch an den Schwierigkeitsgrad. So ganz geht die Rechnung aber nicht auf. Überhaupt erweisen sich actionreichen Momente des Spiels als ungeschliffen. Das Kampfsystem mit seinen zwei Angriffstasten und seinem Ausweichmanöver erinnert durchaus an die Souls-Reihe von FromSoftware, besitzt aber bei weitem nicht deren Tiefgang und Feinheiten. Egal ob man nun gegen andere Vampire, Werwolf ähnliche Bestien oder menschliche Gegner antritt, sonderlich abwechslungsreich oder gar fordernd gestaltet sich das Ganze nicht. Eine angenehme Ausnahme bilden die Bosskämpfe, die tatsächlich Laune machen und knackig gestaltet wurden.
Hauptsächlich kämpft man übrigens mit Schlagwaffen. Diese kann man teilweise einhändig führen, wobei in der zweiten Hand dann noch eine Schusswaffe oder auch ein Pflock Platz findet, es gibt aber auch zweihändige Waffen, die in der Regel mehr Schaden machen, dafür aber auch die Angriffsgeschwindigkeit und Ausdauer reduzieren. An Werkbänken lassen sich die Waffen mit gefundenen Ressourcen dann auch aufwerten, auch Heilitems und andere Gegenstände kann man hier herstellen. Richtig viel Wucht haben die Vampir-Angriffe. So kann man beispielsweise tierische Krallen ausfahren oder sich für wenige Sekunden in eine Rage-Modus begeben, auch defensive Aktionen, wie etwa das Auffrischen der eigenen Energieleiste, lassen sich freischalten. Diese Sonderaktionen gehen jedoch zulasten des eigenen Blutkontos, welches man aber im aktiven Kampf schnell durch das Aussaugen der Gegner wieder aufgefüllt hat.
Licht und Schatten
Und gerade hier wirkt Vampyr im Kontext der auf Moral setzenden Narration dann doch etwas seltsam. Denn während man bei jedem Charakter, mit dem man interagieren kann, abschätzt, ob die lockenden Erfahrungspunkte den Mord wert sind, zerfetzt Reid in den Kämpfen unzählige Widersacher, ohne mit der Wimper zu zucken. Diese Tatsache wird von dem Spiel leider auch nicht weiter aufgegriffen, eine Reflektion von Reid und seinen Taten findet nicht statt. Ausgerechnet der Protagonist ist somit eine enorm widersprüchliche Figur, was zwar an sich nicht verkehrt ist, durch die fehlende, tiefer gehende Thematisierung unbefriedigend bleibt.
Auch die Handlung an sich ist vergleichsweise unspektakulär und weist keine sonderlichen Höhepunkte auf. Dem eigentlichen Vampir-Trope fügen die Entwickler nichts neues hinzu, dafür nutzen sie ihr Setting aber, um auch Themen mit aktuellen Bezügen anzusprechen. So werden unter anderem auch Inter-ethnische Beziehungen und Frauenrechte angesprochen, was das thematische Spektrum angenehm erweitert und die oftmals langwierigen Gespräche interessant hält.
London Superstar
Das viktorianische London war in den vergangenen Jahren öfters Schauplatz von Videospielen (The Order 1886, Assassin´s Creed Syndicate). Dennoch erweist sich die englische Hauptstadt in Vampyr als einigermaßen unverbrauchtes Setting. Das in verschiedene Bezirke (West End, Whitechapel etc.) unterteilte Gebiet ist optisch durchaus ansprechend gestaltet und weist immer wieder nette Details auf. Gerade der bereits zuvor erwähnte Friedhof, aber auch das Krankenhaus und manch andere Gebäude, die man im Laufe des Spiels betritt, besitzen entfachen eine tolle Stimmung, wie ich sie mir von einem Werk über Vampire wünsche.
Neben den langen Ladezeiten und immer wieder auftretenden Rucklern, sind es vor allem die sehr Puppenhaften Gesichtsanimationen, die am eigentlich guten Eindruck rütteln. Das gerade ein Spiel mit einem solch starken Fokus auf Dialogszenen es verpasst, stimmige Mimiken auf den Bildschirm zu zaubern, ist schon erstaunlich, wenn auch nicht allzu tragisch, da die in der Regel sehr gute englische Vertonung mit ihren unterschiedlichen Dialekten auf den Punkt ist.