Syberia REVIEW
Auf den ersten Blick handelte es sich bei dem am 30.05.2002 veröffentlichten Syberia nur um ein weiteres Point & Click-Adventure des französischen Unternehmens Microids. Jedoch hat das Spiel einige Dinge zu bieten, welche es aus der Masse herausstechen lässt. Zum einen wäre da die Beteiligung des belgischen Comiczeichners Benoit Sokal, der nach Amerzone mit Syberia bereits sein zweites Spiel präsentiert. Sokals künstlerische Fähigkeiten verhelfen dem Spiel zu einem ganz eigenen Charme, dem man sich nur schwer entziehen kann. Darüber hinaus gehört Syberia zu jener Adventure-Minderheit die nicht allein für den PC erstellt wurden, sondern auch Konsolenumsetzungen für PS2 und Xbox spendiert bekam, womit natürlich breitere Käuferschichten erschlossen werden konnten. Zu guter Letzt ist da noch der vergleichsweise freundliche Schwierigkeitsgrad, welcher wohl den einen oder anderen Genreneuling einen angenehmen Einstieg ins Genre ermöglicht hat.
Die Mischung ging auf. Syberia gilt heutztage als einer der großen Klassiker des Genres und konnte bis dato auch drei Fortsetzungen nach sich ziehen. Ob es jemals einen fünften Teil geben wird, ist jedoch fraglich, da Benoit Sokal bereits während der Entwicklung des vierten Teils verstarb.
Aber das soll niemanden daran hindern diese schönen Spiele zu erleben. Ob Syberia etwas für euch ist oder nicht, erfahrt ihr im folgendem Test.
Eine Zugfahrt, die ihr Leben verändern wird
Es ist der 16. April 2002. Die New Yorker Anwältin Kate Walker hat einen, scheinbar simplen, Auslandsauftrag für ihre Kanzlei Marson & Lormont übernommen. Eine alte Automatenfabrik im verträumten französischen Alpenstädtchen Valadiléne soll an den US-Spielzeugkonzern Universal Toy’s Company verkauft werden. Besagter Spielzeugkonzern ist dann auch der Auftraggeber der Anwaltskanzlei. Eigentlich sollte Kate nur eine simple Unterschrift von der altersschwachen Fabrikeigentümerin Anna Voralberg einholen und mit dem unterzeichneten Verkausvertrag umgehend zurück in die USA düsen. Dummerweise kam Gevatter Tod dazwischen und hat Anna zwischenzeitlich zu sich geholt. Doch das ist nicht das eingentliche Problem. Annas Notar offenbart Kate, dass Anna einen Bruder hat, dessen Tod seinerzeit vorgetäuscht wurde und welcher jetzt der rechtmäßige Erbe der Automatenfabrik ist. Somit ist unsere Anwältin nun gezwungen den Aufenthaltsort des ominösen Hans Voralberg zu ermitteln, und diesen dazu zu bewegen, die Unterschrift auf den Verkaufsvertrag zu setzen.
Doch das ist leichter gesagt als getan, denn Hans ist ein Sonderling der sich an einem unbekannten Ort aufhält. Die Spurensuche führt Kate zu dem intelligenten Automaten Oscar, welcher von Hans entworfen wurde und die letzte Produktion der Automatenfabrik darstellt. Dieser fungiert als Zugführer einer schicken, ebenfalls von Hans entworfenen Eisenbahn, welche auf einer Aufziehmechanik basiert. Kate mutmaßt, dass die von Oscar angestrebte Zugfahrt zu Hans Voralberg führen wird, und sie ihren Auftrag bei einer Mitfahrt doch noch erfolgreich abschließen kann. Und so beginnt für Kate eine spannende Reise durch Europa und Russland.
Doch ganz so simpel ist die Sache dann doch nicht, denn die Aufziehmechanik des eigenwilligen Zugs, sorgt immer wieder für unerwünschte Zwischenstops, welche Kate dazu zwingen sich mit den Problemen der jeweiligen Region auseinanderzusetzen. Darüber hinaus wird Kate regelmäßig telefonisch von ihrem Boss, sowie ihrem Familien- und Freundeskreis belästigt. Diese Leute zeigen wenig Verständnis für Kates Lage und geben sich bemerkenswert egoistisch.
Besagte Anrufe sind dann leider auch der Tiefpunkt der abenteuerlichen Reise. Sie reißen einen regelrecht aus dem Spielgeschehen heraus, nur damit man sich das Gejammer und Genörgel von Unsympathen anhören muss. Ich verstehe zwar, was man damit erreichen wollte, lästig sind die Calls aber dennoch. Darüber hinaus, sollte man sich bewusst sein, dass man hier einen leichten Cliffhanger zum Ende präsentiert bekommt. Die Hauptaufgabe rund um den Verkauf der Automatenfabrik wird zwar erfüllt, aber das große Handlungsfass um die Mammuts und die Namen-gebende, mysteriöse Insel Syberia bleibt offen. Im ersten Syberia-Teil geht es aber auch gar nicht so sehr um die Handlung an sich, als vielmehr um die oftmals schrulligen Charaktere, sowie die surreale Ästhetik der Ortschaften, die man besucht.
Dezent langweilig oder einsteigerfreundlich?
Bezüglich Gameplay bekommt ihr hier ein reguläres 2.5D Point & Click-Adventure. Mit dem Mauscursor dirigiert ihr Kate durch die Renderbilder. Mittels Doppelklicks könnt ihr Kate schneller laufen lassen. Zur schnellen Überbrückung durch Ein- und Ausgänge hilft der Doppelklick leider nicht. Aufgrund dessen fällt der Spielfortschritt von Syberia ziemlich träge aus, zumal es auch viele Renderbilder gibt, die nur der grafischen Präsentation der Spielwelt dienen und keinen Gameplay-Inhalt bieten. Diese Maßnahmen treiben dann auch die Spielzeit auf bis zu 15 Stunden hoch.
Ansonsten untersucht ihr Hotspots, sammelt Gegenstände ein und redet mit NPCs, um entweder Problemstellungen zu lösen oder die Handlung voranzutreiben. Im Inventar sorgt eine Abgrenzung zwischen Gegenständen und lesbaren Dokumenten für Ordnung. Die Möglichkeit Gegenstände untereinander zu kombinieren gibt es übrigens nicht. Da man das Inventar separat aufrufen muss, kann es etwas sperrig sein mit den Gegenständen herumzuhantieren, aber da sich das Spiel bei der Quantität der Inventarrätsel zurückhält, ist das nicht so schlimm.
Generell hält sich das Spiel bei Rätseln zurück. Das heißt jetzt nicht, dass ihr hier nichts zu tun bekommt, aber man stolpert immer wieder über ungenutztes Rätselpotential. So gibt’s es z.B. ein Heckenlabyrinth, welches jedoch nicht als solches genutzt wird. Später im Spiel bekommt man dann den Auftrag einen Musikpavillon zu reparieren. Die „Reparatur“ besteht jedoch lediglich darin, dass man einen Hebel betätigen muss. Spätestens an dieser Stelle kam sogar ich mich verarscht vor. Eigentlich mag ich ja leichte Adventures, welche man ohne Komplettlösung bezwingen kann sehr gerne. Aber Syberia übertreibt es dann doch ein klein wenig mit der Einsteigerfreundlichkeit und wird erfahrene Genre-Profis entsprechend langweilen.
Einzige Ausnahme ist das Rätsel mit dem Cocktail-Automaten gegen Ende des Spiels. Dieses erfordert dann doch ein größeres Maß an Knobelei und grenzt sich somit vom Rest der Rätselaufgaben ab. Ein paar weitere Rätsel wie die Sache mit Oscars Beinen oder die Bedienung der Flussschleuse könnten auch etwas Trial & Error provozieren. Abgesehen davon sollte man aber ohne Treppchen durchkommen. Und viel mehr gibt es zum Gameplay eigentlich auch gar nicht zu sagen. Nennenswerte Gimmicks oder Experimente sucht man hier jedenfalls vergebens. Aber das muss ja auch nichts schlimmes sein.
Grafik und Sound
Wie die meisten Adventures der damaligen Zeitperiode setzt Syberia auf Renderbilder und 3D-Charaktermodelle. Die Renderbilder sind wunderschön und detailliert gestaltet, und profitieren von Benoit Sokals künstlerischen Stil. Über das gesamte Spiel hinweg begegnet man den Kreationen und Automaten von Hans Voralberg, welche dem Spiel einen surrealen Steampunk-Stil mit auf den Weg geben. Aber auch unabhängig von Voralbergs Einflüssen bieten die Ortschaften einen eigenen Flair. Die große Gemeinsamkeit ist jedoch der melancholische Touch, der sich durch das gesamte Spiel zieht. Bedenkt jedoch, dass es sich um ein altes Spiel handelt, und die Auflösung somit nur 800×600 Bildpunkte beträgt. Für solch eine niedrige Auflösung sehen die Renderbilder aber immer noch bemerkenswert hübsch aus.
Die 3D-Modelle sind für ein Adventure recht solide gestaltet, leiden jedoch, wie in den meisten anderen Adventures dieser Machart, unter steifen, ungelenken Animationen. Das Spiel versucht diesen Umstand zu kaschieren, indem die NPCs meist nur in der Gegend herumstehen und sich kaum bewegen. Bei Kates Charaktermodell hat man sich hingegen mehr Mühe gegeben. Die Anwältin wirkt schon wesentlich gelenkiger als die NPCs. Ab und zu gibt es auch Rendersequenzen. Diese können zwar nicht mit jenen damaliger JRPGs mithalten, sind aber gut genug, um ihren Belohnungseffekt für den Spieler zu entfalten.
Der Soundtrack entstand aus der Zusammenarbeit von Nicholas Varley, Dimitri Bodiansky and Inon Zur. Die drei haben hier einen wunderbaren OST geschaffen, welcher der surreal-melancholischen Stimmung des Spiels definitiv zu Ehre gereicht.
Auch die deutsche Sprachausgabe ist gelungen und von hoher Qualität. Man kann vielleicht bemängeln, dass die Sprecher ein klein wenig zu brav klingen, aber das ist bei einem ruhigen Spiel wie Syberia jetzt auch kein Drama.
Pro & Kontra
- schöner surreal-melancholischer Stil, der sich durch das gesamte Spiel zieht
- gelungene audiovisuelle Präsentation
- ist sehr Einsteigerfreundlich und kann ohne Komplettlösung bezwungen werden
- kompetente deutsche Sprachausgabe
- gute Spieldauer von ca. 15 Stunden
- das Spiel ist selbst für ein Adventure sehr träge, es bietet keine Doppelklick-Abkürzung
- Schwierigkeitsgrad und Quantität der Rätselaufgaben lässt etwas zu wünschen übrig …
- … dennoch gibt es auch hier einige Trial & Error-Ausreißer
- die Geschichte fühlt sich nicht vollständig an und endet mit einem Semi-Cliffhanger