River City Girls Zero REVIEW
Was war eigentlich das Spiel, welches den US-Entwickler WayForward zu „River City Girls“ inspiriert hat? River City Ransom (bzw. Street Gangs in Europa) ist die nahliegende Antwort. Dies ist jedoch nur eine Teilantwort, denn da gibt es noch ein weiteres Spiel der Nekketsu/Kunio-kun-Reihe, welches als Inspirationsquelle diente. Die Rede ist von „Shin Nekketsu Kōha: Kunio-tachi no Banka“ (eng. The New Hot-Blooded Tough Guy: The Elegy of Kunio and Co.), ein Kunio-kun-Brawler für das Super Famicom (japanischer SNES), der am 29. April 1994 veröffentlicht wurde. Das Beat ‚em Up hat es jedoch nie aus Japan herausgeschafft. In diesem Spiel konnte man neben Kunio und Riki nämlich auch erstmals deren Freundinnen Misako und Kyoko steuern.
Da sich River City Girls als großer Erfolg herausstellte, und man bei WayForward die Motivation verspürte diese Subserie von Nekketsu/Kunio-kun zur Franchise auszubauen, entschloss man sich kurzerhand das alte Super Famicom-Spiel wiederzuveröffentlichen. Und so bekam Shin Nekketsu im Jahre 2022 endlich seinen Release in der westlichen Welt, allerdings unter neuen Namen: River City Girls Zero.
Von der Umbenennung sollte man sich jedoch nicht blenden lassen, denn hier bekommt ihr lediglich eine übersetzte Emulation eines alten Super Famicom-Titels. Zwar hat WayForward externes Zusatzmaterial beigefügt, damit der stolze Preis von 12,49 € für eine SFC-Rom weniger absurd erscheint, aber ob River City Girls Zero bzw. Shin Nekketsu diese Summe tatsächlich wert ist oder nicht, soll folgendes Review aufzeigen.
Wahrscheinlich die düsterste Kunio-Story
Zwei Teenager überfahren einen Passanten mit ihrem Motorrad. Die beiden sehen Kunio und Riki zum verwechseln ähnlich. Daher landen die beiden grantigen Yankees wegen Fahrerflucht im Knast. Natürlich sind die beiden Jungspunde unschuldig. Nach dem ersten Tag im Gefängnis bringt Kunios Kumpel Hiroshi schlechte Nachrichten. Daiki hat Kunios Platz als Beschützer der Nekketsu-Schule eingenommen. Allerdings sorgt der Kotzbrocken nur für Ärger und macht sich sogar an Kunios Freundin Misako ran. Ferner wurde ein Typ gesichtet, der Kunio zum Verwechseln ähnlich sieht. Damit ist für Kunio und Riki klar, dass jemand bewusst versucht ihren Ruf zu ruinieren. Mithilfe ihrer Zellengenossen brechen sie aus dem Knast aus und müssen nun versuchen die wahren Übeltäter zu schnappen. Unterstützung erhalten sie dabei von ihrem Freundeskreis und natürlich auch von ihren Freundinnen Misako und Kyoko.
Im Gegensatz zu anderen Brawlern legt River City Girls Zero einen starken Fokus auf die Handlung. Zwischen jedem Kampf gibt es Dialogsequenzen oder Cutscenes, die auch durchaus mal etwas länger dauern können. Und die Handlung die hier erzählt wird, mag zwar keine Preise gewinnen ist aber dennoch interessant und gelungen. Die Story nimmt sich übrigend durchaus ernst. Kunio und Co. müssen sich mit Schwerverbrechern auseinandersetzen, die nicht vor Mord und Totschlag zurückschrecken, was im Spiel auch deutlich gezeigt wird. Es gibt zwar auch witzige und absurde Momente, und das Nekketsu-typische Artdesign schwächt das Geschehen ab, jedoch sollte man keinen Klamauk wie im „regulären“ River City Girls erwarten.
Ob diese Herangehensweise nun gut oder schlecht ist, muss freilich jeder selbst entscheiden. Auf jeden Fall schafft es das Spiel sich mit seinem starken Fokus auf die Handlung von anderen Genrevertretern abzugrenzen.
Schon damals mächtig veraltet, aber dafür auch abwechslungsreich
Man kann River City Girls Zero entweder alleine oder im 2-Spieler-Koop zocken, und man kann zwischen den zwei Schwierigkeitsgraden Leicht und Normal wählen. Letztere Option ist jedoch eine Anfängerfalle, denn im leichten Grad werdet ihr nach ca. zwei Dritteln des Spielen mit der Aufforderung auf Normal zu spielen rausgeworfen. Da hier eine Spieldauer von ca. 3-4 Stunden gegeben ist, ist dieser Rauswurf umso ärgerlicher. Obendrein ist der Unterschied zwischen Leicht und Normal sowieso marginal. Die Gegner scheinen auf Normal etwas mehr Lebensenergie zu haben, aber abgesehen davon sind mir keine Unterschiede aufgefallen.
Positiv ist hingegen das umfangreiche Passwort-System. Jeder Spielabschnitt und sogar längere Zwischen-/Dialogsequenzen bekommen ihr eigenes Passwort-spendiert. Das aktuelle Passwort kann man jederzeit über die Pause-Funktion einsehen und setzt sich aus vier Zahlen zusammen. Sie sind daher schnell notiert und eingetippt. Das Spiel verwendet keine Extraleben oder Zeitlimits, und man hat unbegrenzt Continues zur Verfügung. Man kann River City Girls Zero also trotz einiger kniffliger Stellen sehr entspannt spielen. Wer keine Lust hat Passwörter einzugeben, kann auch die Speicherstand-Funktion nutzen, welche von WayForward eingebaut wurde, jedoch wirkt diese aufgrund des exzessiven Passwort-Systems etwas überflüssig.
Aber wie dem auch sei. Mit River City Girls Zero bekommt ihr einen linearen, aber abwechslungsreichen Brawler. Es gibt zwar auch Sidescroll-Belt-Stages, jedoch werden die meisten Gefechte in einem abgegrenzten Areal durchgeführt. So besteht z.B. die erste Stage nur aus einem Kampf gegen drei Knackis in der Gefängniszelle. Ist dieser Kampf gewonnen, hat man schon die erste Stage gewonnen, und kann sich bei Bedarf ein neues Passwort notieren. Es gibt auch einige reine 2D-Abschnitte, welche mit milden Platformer-Elementen daherkommen. So muss man etwa auf Riesenrad-Gondeln hochklettern, um Gegner zu erreichen. Hierfür kann man sich auch an Kanten festhangeln und hochziehen. Derartige Cinematic-Platformer-Eskapaden sind jedoch nur sehr selten zu tätigen. Ein merkwürdiger Ausrutscher ist jedoch eine sehr kurze Stage gegen Ende des Spiels. Hier findet man sich in einer futuristischen Untergrundfabrik á la Mega Man wieder und soll sich über bewegliche Platformen zum Ausgang hangeln. Gegner gibt es hier nicht, womit dies die einzige reine Platforming-Stage im Spiel ist. Da frag ich mich ernsthaft wie die hier reingerutscht ist, zumal ja auch das Setting nicht zum Rest des Spiels passt.
Sinnvoller sind da schon die drei Mode 7-Motorrad-Stages. Hier soll man einfach nur zum Ziel düsen, was jedoch durch feindliche Biker und fiese Kurven erschwert wird. Erstere kann man mit gezielten Kicks vom Bike holen, bei Letzteren sollte man auch mal vom Gas runtergehen, ansonsten donnert man gegen die Streckenwand und landet im Continue-Bildschirm. Sobald man den Dreh raus hat, sollten die Motorrad-Stages aber kein Problem mehr darstellen.
Aber das Herzstück in einem Brawler ist natürlich der Kampf, und hier schneidet River City Girls Zero trotz vorbildlich-breiter Movepalette leider eher schlecht ab. Das allgmeine Feeling des Spiels entspricht einem alten Arcade-80er-Brawler wie etwas Double Dragon. Man muss also seeehr methodisch vorgehen, um erfolgreich zu sein. Dummerweise war die Spielerschaft Anno 1994 bereits durch Titel wie Turtles in Time, Batman Returns oder Streets of Rage 2 verwöhnt. Und gegen derartige Hochkaräter wirkt Shin Nekketsu hoffnungslos veraltet. Besonders gern wird kritisiert, dass Gegner die eigenen Angriffskombos unterbrechen können, was für viele Genrefans ein absolutes No Go ist. Obendrein bringen spätere Gegner verdammt viel Lebensenergie mit sich, blocken fleißig und greifen mit verheerenden Spezialtechniken an. Der Durchschnittsspieler wird River City Girls Zero daher als sehr schweres Spiel empfinden. Dies wird meiner Meinung nach jedoch durch das extrem großzügige Passwortsystem und unendliche Continues ausgeglichen. Aber es ist definitv Tatsache, dass sich das Spiel veraltet und klobig anfühlt. Damit wird man sich abfinden müssen.
Wem dies gelingt, darf sich jedoch auf viele coole Moves freuen. Man kann nicht nur Schlag- und Trittkombos durchführen oder Jumpkicks durchführen, sondern kann auch auf Gegner die am Boden liegen eintreten oder sich auf sie draufsetzen um ihnen die Fresse zu polieren. Man kann blocken, Gegner am Kragen packen, per Kniekick auf die Matte schicken und mehr.
Man hat vier spielbare Charaktere (Kunio, Riki, Misako und Kyoko), die man ohne Einschränkung per Knopfdruck durchschalten kann. Dies sollte man auch tun, da man umgehend in den Continue-Bildschirm geworfen wird, sobald auch nur ein Charakter alle Lebensenergie verloren hat. Irgendwelche Heilmittel oder sonstige Pick-Ups gibt es hier nicht. Und ja, jeder der Vier hat einen eigenen Heilbalken und eigene Statistika und Specialmoves zur Verfügung. Die Mädels können sich schneller fortbewegen als die Jungs, haben dafür aber nicht so viele Hitpoints. Kunio und Misako verfügen über den Cyclone Kick, während Riki und Kyoko mit Rapid Punshes bzw. Rapid Kicks arbeiten. Es macht sehr viel Spaß diese Moves umzusetzen und auszuloten.
Lasst euch aber nicht vom Anfangsstadium des Spiels verwirren. In den ersten paar Stages gibt es noch keine Specialmoves, und auch Misako und Kyoko kommen erst ein wenig später ins Team.
WayForwards neuer Content
Abgesehen von der Textübersetzung (welche übrigens auch auf Deutsch zur Verfügung steht) blieb das eigentliche Spiel unangetastet. Dennoch hat WayForward neuen Inhalt beigefügt. Das Programm startet mit einem kurzen aber schicken Intro im Stil alter 80er und 90er Animes. Darüber hinaus gibt es noch zwei Manga-Stil-Sequenzen im Stil der eigentlichen River City Girls-Spiele. Diese bieten sogar Sprachausgabe in englischer und japanischer Variante und erzählen eine niedliche Nebenstory, wie Kyoko und Misako einen alten Super Famicom in Betrieb nehmen, um das Spiel zu zocken. Es gibt auch zwei neue Musiktracks von Demon Dice und Megan McDuffie, die richtig toll gelungen sind und Laune aufs Spiel machen.
Eine besonders nette Geste ist auch die Beifügung von Scans bzw. 3D-Modellen der Anleitung und OVP. Diese stehen logischerweise nur in japanischer Form zur Verfügung, weswegen sie eher zur historischen Bewahrung dienen. Lobenswert ist dieser Extra-Aufwand aber allemal. Leider kann die Infotafel, welche die Steuerung bzw. Movepalette darstellen soll, nicht überzeugen, da hier viele Moves und Fähigkeiten schlicht nicht erklärt werden. Trotzdem kann sich das Extramaterial definitiv sehen lassen. Hier wurde viel Liebe reingesteckt, was den hohen Preis zwar nicht vollauf rechtfertigt, aber zumindest etwas ertragbarer macht.
Grafik und Sound
Auch in grafischer Hinsicht macht sich River City Girls Zero keine Mühe mit Konkurrenztitel damaliger Zeit Schritt zu halten. Das Spiel sieht eher aus wie ein JRPG aus der Seitenansicht als ein Beat‘ em Up. Das ist natürlich ein Problem, da ein großer Reiz von Brawlern deren schicke Grafik mit riesigen, toll animierten Charaktersprites ist. Das sind Dinge, welche Shin Nekketsu nicht bieten kann. Was hingegen geboten wird, ist eine angenehm farbenfrohe und abwechslungsreiche Darstellung der Ortschaften. Die kleinen Charaktersprites profitieren zumindest von dem typischen Nekketsu-Charme. Es gibt auch einige coole, erinnerungswürdige Momente wie z.B. der Kampf auf einem einstürzenden Gebäude.
Der Soundtrack wirkt ziemlich grob, so als ob er für den schwachen Soundchip des Mega Drive konzipiert wurde. Die berühmte Klangqualität des SNES sollte man jedenfalls nicht erwarten. Die Stücke an sich sind ganz Ok. Es gibt einige nette Tracks, die Laune machen, aber die meisten Stücke können sich nicht im Gedächtnis festsetzen. Da ist man vom SNES/SFC einfach besseres gewohnt. Aber schlecht ist der OST von Shin Nekketsu auch nicht. Das Spielgeschehen wird jedenfalls immer gut unterstützt. Außerdem können die Prügellaute und KO-Samples besiegter Gegner recht gut fetzen.
Leider gibt es einige technische Macken. Einige Spieler im Steam-Forum beschweren sich, dass das Spiel nicht starten möchte. Ich selbst hatte manchmal minimale Lags bemerkt. Da es ein sehr langsames Spiel ist, waren diese nicht so drastisch, jedoch wäre es schön, wenn WayForward eine saubere Arbeit abgeliefert hätten. Ich glaube nämlich nicht, dass die Lags auch im SFC-Original vorhanden sind.
Pro & Kontra
- zahlreiche Kampfmoves und vier frei durchschaltbare Spielfiguren
- sehr großzügiges Passwortsystem und unbegrenzt Continues
- für einen Brawler eine gute Spieldauer von 3-4 Stunden
- das neue Zusatzmaterial von WayForward ist sehr liebevoll, obendrein blieb das eigentliche Spiel unangetastet
- das Gameplay fühlt sich sehr alt und klobig an, das war schon in den 90ern veraltet
- teils unfair schwere Gegner, welche die eigenen Kombos unterbrechen können
- null Wiederspielwert und ein überflüssiger Easy-Mode, der einem nach zwei Spieldritteln rauskickt
- merkwürdiger und beliebiger Einsatz von kleineren Cinematic-Platformer-Einlagen