Mark McMorris Infinite Air REVIEW
Der Winter rückt immer näher, doch der alljährliche Schneefall scheint derzeit noch nicht in Sicht. Will man dennoch nicht auf den Wintersport verzichten, ohne in ein teures Schigebiet zu pilgern, bleibt nur eine Möglichkeit. Der Berg samt Tiefschneepiste muss eben ins Wohnzimmer kommen. Da kommt die brandneue Snowboarding-Simulation Infinite Air with Mark McMorris offenbar gerade recht. Authentisches Gameplay, realistische Physiksimulationen, eine riesige, prozedural generierte Spielwelt und spektakuläre Wettbewerbe. All das verspricht die Wintersportsimulation des kanadischen Entwicklers HB Studios. Wieso Infinite Air trotz der beworbenen Features nicht überzeugen kann, erfahrt ihr in unserem Test.
Wenn der Berg ruft
Das Angebot an Wintersportsimulationen wurde in den letzten Jahren verschwindend gering. Gut vier Jahre sind vergangen seit der letzte nennenswerte Genrevertreter, in diesem Fall SSX, erschienen ist. Dementsprechend groß sind die Erwartungen an Infinite Air. Fans der, in die Jahre gekommenen Amped-Reihe sowie Anhänger der Skate-Gemeinde fieberten dem Release entgegen, vielleicht sogar mit einer etwas zu euphorischen Erwartungshaltung. Doch wie spielt sich Infinite Air nun? Ab in den virtuellen Tiefschnee, die Alpen erwarten euch!
Infinite Air macht dem Begriff „Simulation“ alle Ehre, denn der Einstieg gestaltet sich unerwartet schwierig, selbst für erfahrene Spieler. Ohne Vorwarnung wirft euch das Spiel Hals über Kopf ins kalte Wasser oder besser gesagt in den kalten Schnee. Ganz ohne Intro oder große Eröffnung findet ihr euch mitten auf einem Gipfel wieder, in einer einsamen, eisigen Einöde. Ein Snowboarder, sein Board und der Berg. Schnell wird klar, aus drauf losspielen und das Beste daraus machen, wird nichts. Die Navigation der Spielfigur ist so eigenwillig, dass kein Weg um das Tutorial herumführt. So quält ihr euch durch Seiten an Text über Controllerbefehle, Beispielbildern und Übungssequenzen. Auf wesentlich effektivere Übungsvideos wurde hier leider verzichtet. Ein reibungsloser Einstieg sieht definitiv anders aus, aber wie heißt es doch so oft… Aller Anfang ist schwer!
Ist die äußerst zähe Tutorialphase nun überstanden und hat man die Grundlagen der Steuerung einigermaßen verinnerlicht, kann der Spaß endlich beginnen. Zur Auswahl stehen hier neben dem Multiplayer-Part zwei Spielmodi. Zum einen wäre da der Circuit-Modus, der wohl für den klassischen Gelegenheitsspieler eingeführt wurde. Hier tretet ihr in einzelnen Disziplinen gegen computergesteuerte Profifahrer wie Mark McMorris und versucht etwa dessen Punkte-Score zu schlagen. Der Circuit-Modus ersetzt sozusagen einen klassischen Story-Modus, kommt jedoch komplett ohne Handlung aus. Euch erwartet also eine Folge von gesamt an die 100 Events, die mehr oder weniger liebevoll abzuklappern sind. Zumindest wurden die Bewerbe einigermaßen abwechslungsreich gestaltet und bieten so gute Unterhaltung für einige Stunden.
Realismuslevel over 9000
Einzig der hohe Grad an Realismus beim Gameplay könnte euch einen Strich durch den Spielspaß machen. Hier sind die Entwickler klar übers Ziel hinausgeschossen, denn selbst nach über 30 Stunden Spielzeit hat man noch immer das Gefühlt, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Während Sprünge, Spins oder Grinds bereits nach wenigen Stunden erstaunlich gut von der Hand gehen, fühlen sich Flips, also Back- oder Frontflips für einen durchschnittlichen Spieler, der im echten Leben nicht viel mit Snowboarding zu tun hat, recht fremd an. Einmal flippt der Boarder in der Luft zu langsam, dann wieder zu schnell oder manchmal auch gar nicht. Auch wenn man durch die richtige Körperhaltung die Geschwindigkeit der Drehung beeinflussen kann, scheinen viele Tricks dennoch eher aus Glück zu gelingen. Mag ja sein, dass sich die Entwickler nahezu perfektionistisch an die reale Vorlage halten, doch damit verlieren viele Spieler innerhalb weniger Stunden den Spaß am Spiel.
Der durchschnittliche Spieler kann oder möchte einfach nicht täglich drei, vier, fünf oder Stunden investieren, um vielleicht nach 100 Spielstunden das Gefühl zu bekommen, alle Mechaniken einigermaßen gut zu beherrschen. Ein zweiter „Schwierigkeitsgrad“, wie etwa in Skate, würde hier wahre Wunder wirken. Dabei würde es schon genügen, wenn der Boarder in der Luft leichter zu navigieren wäre. Das würde für Erfolgserlebnisse bei den Spielern sorgen und den Spielspaß aufrechterhalten. Apropos Skate. Im Vorfeld dachten einige Fans der Reihe, Infinite Air wäre DAS nächste Skate, nur eben mit Wintersetting. Das hat sich definitiv nicht bestätigt, denn die Snowboarding-Simulation unterscheidet sich in Sachen Gameplay ganz klar von der Skateboarding-Reihe.
Unter der Oberfläche von Infinite Air könnte aber noch ein Schatz verborgen liegen. Eine große Hoffnung liegt im integrierten World Editor und der dazugehörigen Open World. Auf einem zufallsgenerierten Berg, der sich immer wieder neu erzeugen lässt, könnt ihr euch nach Lust und Laune austoben. Steile Abfahrten, gigantische Rampen oder ein entspannter Park voller Rails und Gaps. Eurer Kreativität werden hier keine Grenzen gesetzt, die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Alle erstellten Kurse lassen sich anschließend auf Knopfdruck mit der ganzen Welt teilen, speichern oder an Freunde weitergeben. Wer anstatt einer spektakulär inszenierten Story zu folgen lieber eigene Tracks aus dem Boden stampft und seine Kreationen begeistert testet, ist in der Welt von Infinite Air bestens aufgehoben.
Leider fehlt es an vielen Stellen aber an den nötigen Anweisungen und Tipps. Sowohl die Handhabung des Editors als auch die Steuerung muss man sich abgesehen von einigen minimalistischen Infotexten selbst erarbeiten. Hier ist Durchhaltevermögen gefragt, was vor allem viele Casual-Spieler abschrecken wird. Weiters wird im Circuit-Modus nicht einmal das Wertungssystem einiger Bewerbe erläutert. Wenn man nicht stundenlang durch das Forum oder die Steam-Community surft, tappt man also an vielen entscheidenden Stellen total im Dunkeln. Sehr schade, denn ein sauber ausgearbeitetes Tutorial würde den Start erheblich erleichtern und für mehr Motivation sorgen. Zumindest kommunizieren die Entwickler vor allem über das Steam-Forum aktiv mit den Spielern, was auf eine baldige Besserung der zahllosen Probleme hoffen lässt.
Technik
Technisch, insbesondere grafisch ist Infinite Air bei Weitem kein Meisterwerk. Wenn schon der Umfang sowie das Gameplay für viele Spieler unzureichend ausfallen, bleibt zumindest die Hoffnung auf einen Grafikblender. Doch auch hier enttäuscht die Snowboarding-Simulation. Knackige, scharfe Texturen, schöner Pulverschnee oder die Spiegelung der Sonne auf der vereisten Strecke… Fehlanzeige! Starker Schneefall kombiniert mit eisigen Windböen oder dichter Nebel hätte besonders die Atmosphäre enorm gesteigert, doch leider bietet Infinite Air auch dies nicht. Aus der Unity Engine und der aktuellen Technik hätten die Entwickler noch so viel mehr herausholen können. Wir konnten leider nur die Xbox One-Version für euch testen, doch die ist grafisch vielleicht auf dem Stand von 2011/2012.
Auch in puncto Sound gibt es wieder so einiges zu meckern, wenn auch nicht ganz so viel wie an anderen Stellen. Bei der Fahrt durch den Tiefschnee fühlt man sich zumindest akustisch direkt auf die Piste versetzt. Während der Fahrwind bei großer Geschwindigkeit in den Ohren rauscht und man von einer Piste zur nächsten flitzt. Begleitet wird die Abfahrt stets von einem Kommentator, der aber eher eintönige als lustige Sprüche von der Leine lässt. Auch die KI-Mitstreiter in Wettkämpfen werfen euch hin und wieder den einen oder anderen schlechten Witz an den Kopf, wohingegen der eigene Boarder stumm zu sein scheint. Bei der Auswahl an Musikstücken, die im Hintergrund spielen, wurde offenbar gespart. Alle 30 bis 45 Minuten scheint sich der Soundtrack zu wiederholen, was sich auf Dauer als sehr eintönig gestaltet.
Wie bereits anfangs erwähnt, ist neben dem äußerst minimalistischen Tutorial die komplexe Steuerung der härteste Gegner. „Schwer zu erlernen und fast unmöglich zu meistern“ – dies scheint hier die Divise zu sein. Selbst nach dutzenden Stunden Training hat man noch immer das Gefühl, den Boarder noch nicht ganz unter Kontrolle zu haben, dabei klingt die Tastenbelegung theoretisch recht einfach. Mit dem linken Analog-Stick wird der Charakter gesteuert, der rechte Analog-Stick beherrscht gewissermaßen das Board. Mit den Triggern wird ein Spin eingeleitet, hält man beide Trigger gedrückt und schwingt den rechten Analog-Stick nach oben bzw. unten, wird ein Flip ausgeführt. In der Luft werden mit den Triggern in Kombination mit dem rechten Stick Grabs ausgeführt. Als Spieler sollte man ein gewisses Vorwissen mitbringen, was die Trickkiste des Snowboarders angeht, denn eine Trickfibel wie etwa in Skate gibt es in dieser Form nicht. Ein kleiner Hinweis an alle PC-Spieler, auf Steam wird zum Spielen von Infinite Air ein Controller vorausgesetzt.
Schwache Performance und enttäuschender Multiplayer
Wenn Infinite Air nicht weltbewegend aussieht und sich das Gameplay etwas hakelig spielt, läuft dann zumindest die Performance rund? Kurzum, nein! Das Spiel wird geplagt von ärgerlichen Rucklern, die sich außerdem negativ auf die Steuerung auswirken, wodurch man manchmal den entscheidenden Moment verpasst. So bricht die Framerate oftmals merklich ein, wenn man mit hoher Geschwindigkeit die Piste hinunter rast. Insgesamt stürzte Infinite Air während unserer Testphase einmal ab, was sich als nicht weiter schlimm herausstellte. Es bleibt an dieser Stelle zu hoffen, dass die Entwickler von HB Studios in den nächsten Wochen an der Performance arbeiten, um lästige Ruckler auszumerzen, besonders auf den Konsolen.
Weiters hatten wir große Probleme mit dem Online-Matchmaking. Während es ohne Weiteres möglich war, Strecken von anderen Spielern zu laden, landeten wir danach oftmals in einer leeren Lobby ohne Mitstreiter. Demnach war der Ausflug auf den Berg für uns überaus einsam. Für einen Titel, der stark auf Online-Features setzt, läuft die Spielersuche also alles andere als rund. Zudem ist es fraglich, welche dieser Features ohne aktives PlayStation Plus bzw Xbox Live Gold Abo verfügbar sind. Im Zweifel lohnt sich Infinite Air für Solisten ohne entsprechendes Abo also nur bedingt.
Immerhin lassen sich viele der verfügbaren Erfolge relativ einfach freischalten. Insgesamt stehen 41 Achievements bzw. Trophäen zur Verfügung, die dem Spieler 1000 Gamerscore bescheren. Etwa die Hälfte davon sollte sich innerhalb der ersten zehn Spielstunden auf eurem Konto befinden. Ein gewisser Sammelspaß sollte also zumindest garantiert sein, vorausgesetzt das nötige Durchhaltevermögen ist vorhanden.