Shadow Madness REVIEW
Der massive Erfolg von Final Fantasy VII hat lange Schatten geworfen. Das Genre der JRPGs war dank Squaresofts Meisterwerk endlich fest im Westen etabliert. Tatsächlich fühlten sich plötzlich sogar einige westliche Entwickler dazu ermutigt Spiele dieser Art zu kreieren. Und so veröffentlichte der US-Entwickler Craveyard Studios am 25. Mai 1999 Shadow Madness für die Playstation – die nordamerikanische Antwort auf Spiele wie Final Fantasy VII.
Allerdings ist Shadow Madness kein seelenloser Klon, sondern bringt einen ganz eigenen, unverwechselbaren Flair ins Genre. Es ist weitaus düsterer als die japanische Konkurrenz und wirkt stellenweise sogar wie ein Horror-Game. Vielleicht mag das ja der Grund dafür sein, warum sich Sony dazu entschloss das Ding in Europa zu veröffentlichen. Bei uns konnte man es dann am 25. Februar 2000 erwerben, sogar mit deutscher Übersetzung. Doch auch das änderte nichts daran, dass es Shadow Madness nie über den Rang einer Obskurität hinausgeschafft hat.
Mittlerweile kann man das Spiel in seiner englischsprachigen Version übrigens auch auf Steam und GoG erwerben – Piko Interactive machts möglich. Ob Shadow Madness jedoch tatsächlich spielenswert ist oder nicht, soll folgender Test verraten.
Zerstörung und Wahnsinn greifen um sich
Böse Überraschung für Stinger, einen der sechs Protagonisten von Shadow Madness. Gerade als er auf den letzten Metern zu seiner Heimatstadt Port Lochane unterwegs ist, muss er hilflos mitansehen, wie ebendiese von einer gigantischen Energieexplosion – im wahrsten Sinne des Wortes – eingeäschert wird. Während er in den Ruinen seiner Heimat nach Überlebenden sucht, wird er auf einmal von einem blutrünstigen Stier-Monster angegriffen. Und damit hat Stingers Überlebenskampf gerade erst begonnen! Denn seine Heimatwelt Arkose wird von einer finsteren Macht bedroht, welche nicht nur Städte und Dörfer pulverisiert, sondern auch eine fiese Krankheit namens Schattenwahn freisetzt, welche ihre Opfer in den Wahnsinn treibt und im Endstadium in blutrünstige Berserker verwandelt. Gibt es einen Ausweg aus dem Wahnsinn?
Die Geschichte von Shadow Madness dreht sich also um sechs grundverschiedenen Personen, die sich zusammenraufen, um ihre Welt vor der Vernichtung durch eine mysteriöse Bedrohung zu bewahren. So weit so klassisch. Das Besondere in diesem Spiel ist jedoch, dass man gleich zu Beginn ins Epizentrum der Zerstörung geworfen wird. Hier beginnt das Spiel nicht gemütlich in einem beschaulichen kleinen Dörfchen, nein, die Zerstörung und der drohende Verfall der Spielwelt wird wesentlich konsequenter durchgezogen als in den meisten anderen Rollenspielen. Besonders deutlich wird dies durch die Titel-gebende Krankheit Schattenwahn, die sich seit dem Angriff auf Stingers Heimatstadt wie eine Seuche über ganz Arkose ausbreitet. Überall begegnet man Menschen, die den Verstand verloren haben, wirres Zeug brabbeln und sich mit der Zeit in blutrünstige Berserker verwandeln. Viele der Ortschaften im Spiel wirken eher wie aus einem Katastrophen- oder Horrorfilm entnommen, als dem typischen Heile Welt Fantasy-Klischee. Dies relativiert sich zwar leider etwas, je weiter man im Spiel vorankommt, aber der stimmige Ersteindruck bleibt.
Originell sind auch die Charaktere: Die Bandbreite reicht vom abgebrühten, ruppigen und sarkastischen Stinger, der häufig Streit mit seinen Teamkameraden anfängt, bis hin zum bierernsten Ernteroboter Harv-5, der mit seinen nüchternen Kommentaren inmitten des ganzen Chaos einen ganz eigenen trockenen Humor verbreitet. Die sechs Hauptcharaktere von Shadow Madness sind angenehm variabel, aufgeweckt und streitlustig. Sie sind jedenfalls keine langweiligen 08/15-Klischeeschablonen, wie man sie sonst im Genre vorgesetzt bekommt. Der Schrifttext im Spiel ist sowohl in quantitativer als auch qualitativer Hinsicht höher angesetzt als bei der Konkurrenz. Es ist eines jener Spiele, bei dem sogar belanglose NPCs über eine eigene Persönlichkeit verfügen und viel über sich und ihre Umwelt zu erzählen haben.
Damals musste sich das Spiel Kritik über den ausufernden Schrifttext gefallen lassen, aber angesichts des Erfolgs der Trails/Kiseki-Reihe scheint ja endlich ein Sinneswandel bezüglich liebevoll aufgebauter Spielwelten stattgefunden zu haben. Auf jeden Fall kann Shadow Madness bezüglich Story, Charaktere, Sagengut und Schrifttext gut punkten. Außerdem kann man es, dank seiner Horror-Atmosphäre und originellen Charaktere, als eine Art Blaupause zu Sacnoths/Nautilus‘ legendärer Shadow Hearts-Reihe betrachten.
Das madige Rundenkampfsystem nach ATB-Muster überschattet das Gameplay
Im Großen und Ganzen macht man in Shadow Madness dasselbe, was man auch in anderen JRPGs treibt. Man erkundet die in Renderbildern dargestellte Spielwelt in altbekannter Stadt-Weltkarte-Dungeon-Manier, sammelt Gegenstände ein, spricht mit NPCs, oder untersucht Umgebungsobjekte wie Bücher, Portraits oder Maschinen, um etwas mehr Sagengut und Anekdoten über die Welt Arkose zusammenzutragen oder vielleicht einen versteckten Schatz zu finden.
Das Herzstück von Shadow Madness ist in der Tat der ausführliche Schrifttext im Spiel. Statt dass man, wie in anderen JRPGs, mit eins, zwei belanglosen Sätzchen abgespeist wird, erfährt man in Shadow Madness wirklich sehr viel über die Spielwelt oder den jeweiligen NPC. Natürlich ist ein Großteil dieser schriftlichen Ausführungen für den erfolgreichen Abschluss des Spiels oder das Verständnis der Handlung nicht unbedingt notwendig, aber es hilft immens dabei der Spielwelt Leben und Tiefgang einzuhauchen – Leben, das man in manch anderen Rollenspiel vergebens sucht. Man merkt ohne weiteres, wie viel Mühe sich die Entwickler mit der Erschaffung von Arkose gegeben haben, dieses Engagement fällt vor allem bei der clever designten, mit Piktogrammen versehenen, Weltkarte auf. Der Clou hierbei ist, dass man die oben genannten Piktogramme sogar untersuchen kann, wenn man auf der Weltkarte unterwegs ist. Man erhält eine genaue Erklärung, was das Bildnis darstellen soll. So entpuppt sich eine freundlich lächelnde Sonne als eine alte arkosianische Gottheit namens Mag, der einst gehuldigt wurde.
Das Spiel ist richtig vollgestopft mit solchen sympathischen kleinen Details, was den Charme und Sense of Wonder natürlich deutlich erhöht und zum genauen Erkunden und Untersuchen motiviert.
Dummerweise umfasst ein gescheites Rollenspiel aber auch Aspekte wie Kampf, Level-Up-Mechaniken und Inventarverwaltung. Und an dieser Stelle gerät Shadow Madness gewaltig ins straucheln. Zunächst einmal muss man sich daran gewöhnen, dass man die Kampfmenüs nicht allein mit Steuerkreuz und Knöpfen bedient. Nein, man muss zuallererst einmal mit den Schultertasten einen der vier Aktionsbereiche; Kampf, Zauber, Flucht oder Gegenstände auswählen, bevor man dann in einem weiteren Untermenü die eigentlichen Kommandos auswählen kann. Klingt umständlich? Ist es auch! Aber wie dem auch sei, gehen wir etwas näher auf die einzelnen Menübereiche ein:
Bei den Menüpunkten Gegenstände und Zaubern (letzterer kann ohnehin nur von drei der sechs Spielfiguren eingesetzt werden), soll man eigentlich nur eine Auswahl aus den mitgeführten Items bzw. den erlernten Zaubern treffen. Der Haken dabei ist jedoch, dass man eine schier ellenlange Liste herunterscrollen muss, während die Feinde munter weiter auf einen einprügeln. Richtig gelesen: Die Kämpfe laufen in ATB-Manier ab, auch wenn man gerade in seinem Inventar oder Zauberbuch herumsucht, aber dazu später mehr.
Unter dem Menüpunkt Flucht wird’s verworrener, es stehen vier Kommandos zur Verfügung: Angreifen, Ausweichen, Flucht und Aussetzen. Mit Angreifen, kann man zur Richtung des angepeilten Gegners hinrennen, um ihn anschließend eins überbraten zu können. Anders als bei anderen Rollenspielen muss man sich hier erst mal auf den Gegner zubewegen, um ihn bekämpfen zu können. Das klingt jetzt zwar interessant für eventuelle taktische Gefechte, entpuppt sich aber in Kombination mit dem ATB-Rundenkampfsystem als absolut unbrauchbar.
Dementsprechend ist auch der Einsatz des Ausweich-Befehls, der dazu dient das jeweilige Gruppenmitglied vom Gegner zu entfernen, um ihn vor feindlichen Angriffen zu schützen, eher unpraktikabel.
Flucht sollte jedem Rollenspieler bekannt sein, man haut aus dem Kampf ab, was gegen Ende des Spiels zu einem sehr wichtigen „taktischen“ Element wird – auch dazu später mehr.
Zu guter Letzt gibt es noch Aussetzen, auch das sollte sich von selbst erklären, der Charakter setzt die Kampfrunde aus, ohne eine Aktion auszuführen. Kann bei magisch begabten Charakteren nützlich sein, um Fernkampfmunition und Zauberpunkte zu sparen. Letztendlich wäre da noch der Menübereich Kampf, dort gibt es folgende Möglichkeiten:
- Defensiver Angriff = wenig Schaden, aber hohe Trefferquote.
- Normaler Angriff = standard Schaden und Trefferquote.
- Aggressiver Angriff = hoher Schaden aber geringe Trefferquote.
- Spezieller Angriff = Fernwaffeneinsatz bei Nahkämpfern bzw. Nahkampfangriff bei Fernkämpfern.
Letztendlich wird es aber darauf hinauslaufen, dass man aufgrund der hektischen Active Time Battle-Mechanik eh nur normale Angriffe einsetzt. Das aus Final Fantasy geklaute ATB-System (Active Time Battle) ist ohnehin der schlimmste Aspekt der Kämpfe. Die Gegner lassen einem, was die Kampfgeschwindigkeit anbelangt, kaum Luft zum Atmen. Man hat einfach keine Zeit die verschiedenen Manöver oder Zaubersprüche auszuprobieren. Dies ist nach den ersten paar Level-Ups aber ohnehin nicht mehr notwendig, da man die Gegner dadurch nach kurzer Zeit maßlos an Stärke übertrumpft hat. Und da der Level-Cap von Shadow Madness sowieso bei umgerechnet 15 liegt (man braucht bloß 55000 EXP, um einen Charakter auf Level 15 zu bringen), hat man sehr bald eine für jeden Bossgegner unbezwingbare Heldentruppe aufgemotzt, die sich bei regulären Kämpfen alleine aufs Flüchten konzentrieren kann um Zauberpunkte zu sparen. Schließlich will man die wuchtigen Zaubersprüche für die Bossgegner aufsparen.
Durch das Verkaufen alter Ausrüstungsgegenstände kommt genügend Geld in die Kasse, was man eh kaum benötigt, da man den ganzen Krempel auch so finden kann. So werden die Kämpfe nach etwa der Hälfte des Spiels absolut sinnlos. Das Gute daran ist, dass man sich nach der ersten Spielhälfte kaum noch mit den grottigen Kämpfen beschäftigen muss und sich somit vollständig auf die Sonnenseite dieses Spiels konzentrieren kann. Des Weiteren wird man netterweise auch von Zufallskämpfen verschont, jeder Kampf kündigt sich durch Monstergebrüll an. Per Druck auf die L1 und R1-Tasten, lässt sich das Duck-Manöver ausführen, mit dem man circa der Hälfte der Kämpfe komplett aus dem Weg gehen kann, was bei so einem üblen Kampfsystem aber auch das Mindeste ist.
Es sei noch erwähnt, dass sich der Schwierigkeitsgrad der Kämpfe jederzeit im Optionsmenü ändern lässt. Auf Leicht oder Normal, sollten die Kämpfe keine ernste Bedrohung darstellen. Auf Schwer ist es anfangs hart, aber auch hier ist das Problem mit dem niedrigen Level-Cap gegeben.
Ein weiteres Manko von Shadow Madness ist die stark limitierte Anzahl an Gegenständen, welche man mit sich führen kann. Bereits nach den ersten paar Spielstunden ist das Inventar bereits vollgemüllt, und man muss Gegenstände verkaufen oder wegschmeißen. Gerade hinsichtlich dessen ist es absurd, dass Shadow Madness zahlreiche Schrottgegenstände anbietet, welche nichts bringen und nur einen minimalen Verkaufswert haben. Mit gutem Spieldesign hat das jedenfalls nichts zu tun. Immerhin bietet das Spiel zur Auflockerung ein paar nett gemeinte wenn auch eher mittelmäßige Minigames. So kann man Schlösser via Memory-Spielchen knacken, eine Festung mit einem Katapult zerlegen oder sogar Egoshooter-Passagen bewältigen. Doch derlei Gimmicks täuschen nicht über das madige Kampfsystem hinweg.
Grafik und Sound
Optisch ist Shadow Madness stark von FFVII geprägt, die Spielwelt setzt sich aus Renderbildern zusammen in denen klobige Polygon-Figuren herumlaufen. Zwar können die Renderbilder qualitativ nicht ganz mit dem großen Vorbild mithalten, sind dafür aber abwechslungsreich und stimmig gestaltet. Im Kampfscreen wird dann richtige 3D-Grafik mit realistischen Charakterproportionen verwendet. Leider sieht die 3D-Grafik von Shadow Madness im allgemeinen ziemlich hässlich aus. Hin und wieder gibt es auch mal Rendersequenzen zu sehen, die aber ebenfalls alles andere als schick anzuschauen sind, was ja eigentlich der Sinn von solchen Sequenzen sein sollte. Dasselbe gilt auch für die Zaubereffekte – da steckt einfach keine Arbeit von Seiten der Entwickler dahinter! Lediglich die Beschwörungszauber sehen ganz ordentlich aus.
Die Qualität des Soundtracks ist da schon auf einem wesentlich höheren Level. Es ist mir kein Track aufgefallen, der sich in den Vordergrund drängt und somit den Spielfluss stört, wie es sonst bei der japanischen Konkurrenz üblich ist. Vielmehr spielen die Melodien angenehm im Hintergrund, um Atmosphäre aufzubauen und das Spielgeschehen zu unterstützen. Ganz davon abgesehen verdient sich der OST von Shadow Madness die Prädikate „Stimmungsvoll“ und „Einzigartig.“ Es lohnt sich mal reinzuhören (Youtube hilft)!
Weniger lohnend ist hingegen die deutsche Textübersetzung (eine Sprachausgabe bietet das Spiel nicht). Die englischen Texte werden oftmals zu wörtlich übersetzt. Man kann englische Redewendungen nicht einfach 1 zu 1 übersetzen, ohne dass es behämmert klingt. Hier muss man halt auch mal etwas Kreativität walten lassen, wozu Sonys Übersetzer seinerzeit wohl nicht bereit war.
Pro & Kontra
- liebevoll gestaltete Spielwelt mit unverbrauchter Horror-Atmosphäre und interessantem Sagengut
- lebendige, abwechslungsreiche Charaktere
- stimmiger Soundtrack
- einige coole Ideen wie Egoshooter-Minigames oder die Möglichkeit Zufallskämpfen auszuweichen
- mieses ATB-Rundenkampfsystem
- absurd niedriger Level-Cap
- lascher Schwierigkeitsgrad
- trotz einiger netter Renderbilder recht schwache Grafik