Vortex REZENSION
Denke ich an Gaspar Noé denke ich vor allem an Skandale und Grenzüberschreitungen, aber auch an bleibende Eindrücke. Egal ob mit dem Mark erschütternden Irréversible, dem audiovisuell einnehmenden Enter the Void oder mit seinem mitreißenden Climax: stets bleibt etwas nach den Filmen von Noé. Das muss nicht immer positiv sein und gefallen, aber es macht die Werke des in Frankreich lebenden Regisseurs eben auch so spannend. Da ist die Ruhe um seinen neuesten Film Vortex fast schon auffallend laut.
Noé ohne Skandal
Noé lässt diesmal den großen Exzess aus. Im Vergleich zu seinen bisherigen Filmen gibt sich Vortex fast schon wie ein stilles Kammerspiel ohne die ganz großen Höhepunkte. Stattdessen steuern die 142. Minuten Laufzeit schon fast bedächtig auf das Ende zu. Dennoch sind diese zweieinhalb Stunden mindestens so ausdrucksstark und einnehmend wie die großen Ausschweifungen des Regisseurs.
Tatsächlich musste ich beim Trailer zweimal doppelt hinsehen. Zum einen ist der Film eben so untypisch für Noé (und dann in gewissen Phasen und Momenten eben doch nicht). Zum anderen wäre da die männliche Hauptrolle. Ist er das? Ja, er ist es! Dario Argento spielt eine der beiden Hauptrollen. Und das ist doch in mehrerer Hinsicht bemerkenswert, immerhin ist der Italiener einer der stilprägendsten Horror-Regisseure seines Landes und hat mit Werken wie Suspiria und Die neunschwänzige Katze seinerzeit selbst so manche Kontroverse ausgelöst, aber eben auch eine ganze Generation geprägt. Und ausgerechnet Argento, das Urgestein des europäischen Horrorkinos, gibt mit 81 Jahren sein Debüt als Schauspieler in einem Film von Noé. Nicht minder spannend ist die Besetzung von Françoise Lebrun (Die Mama und die Hure).
Lebrun und Argento spielen ein altes Ehepaar. Ihr Pariser Apartment ist geprägt von zwei langen Leben. In den Zimmern und Fluren, selbst auf der kleinen Toilette stapeln sich Bücher um Bücher, das Arbeitszimmer des Ehemanns zeugt von dessen Passion für das Kino. Die Küche ist kaum mehr als eine enge Nische, das gemeinsame Schlafzimmer sieht so aus, wie man sich das Schlafzimmer eines Ehepaars von über vierzig gemeinsamen Jahren eben vorstellt. Bis zum Ende erfahren wir nie die Namen der beiden Figuren. Eigentlich sind die Namen auch nicht wichtig, denn Vortex ist eine eher universell angelegte Erzählung und nicht konkret nur die Geschichte dieser beiden Menschen.
Effektive Stilistik

Das nicht Nennen der Namen passt ins Konzept. Das gleiche gilt für die zu Beginn des Films erfolgende Trennlinie, die das Bild in der Mitte teilt. Fortan verfolgt eine Kamera die Frau, eine andere den Mann. Das ist ein vielleicht etwas auf die Nase gestoßenes Stilmittel, schließlich verhandelt der Film unter anderem auch das sich auseinanderleben. Aber der Kniff passt. Zum Film, zu Noé. Und das gleichzeitige Ablaufen zweier Perspektiven ist bemerkenswert gut umgesetzt, obwohl sich jederzeit Geräusche überlappen und man sich auf zwei Szenen konzentrieren muss.
Im Zentrum der Geschichte steht Demenz. Die Frau, eine Psychiaterin im Ruhestand, leidet an einer Form der Erkrankung. Ihr Mann will das nicht wahrhaben und stürzt sich in seine Arbeit. Alle Versuche des gemeinsamen Sohnes (Alex Lutz) die Situation irgendwie in den Griff zu bekommen, sind zum Scheitern verurteilt, auch da das erwachsene Kind selbst kaum in der Lage ist, das eigene Leben zu meistern. Vortex ist eine zutiefst traurige Geschichte. Wenn Filme Demenz verhandeln, dann gewähren sie immer wieder auch Lichtblicke, schöne Momente im Chaos. Bei Noé gibt es diese nicht. Bis zum Schluss ist dies ein sehr kalter Film.
Adrian sagt
Insofern bleibt der Regisseur seinem sich durch alle Filme ziehenden Nihilismus treu. Vortex macht keine Hoffnung, will dies auch gar nicht. Schonungslos wie eh und je bewegt sich dieKamera über zwei Stunden hinweg durch zwei sich in ihren letzten Zügen befindende Leben. Da passt es irgendwie doch ganz gut das mir beim Schauen immer wieder ein Zitat aus Noé´s Irréversible in den Sinn gekommen ist: „Die Zeit zerstört alles.“
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