Nioh REVIEW
Seit der ersten Alpha und den darauffolgenden Betas im vergangenen Jahr ist mein Interesse an Nioh stetig gewachsen. Von Dark Souls und Bloodborne kommend, lechze ich nach wie vor nach ähnlichen Spielen, die auf den Spuren der düsteren Actionspiele mit From Software Formel wandeln und mir ein forderndes Spielerlebnis liefern. Dabei tut man Nioh aber sehr unrecht, wenn man es als billige Kopie abtut. Denn anstatt in fremden Gewässern zu fischen, lässt sich Team Ninja von etablierten Konzepten inspirieren und kreiert etwas ganz eigenes – und ziemlich gutes!
Zwischen Geschichte und Folklore
Japan im späten 16-, frühen 17. Jahrhundert ist ein vom Krieg und Leid gebeuteltes Land, welches erst mit der Ernennung von Tokugawa Ieyasu zum Shogun befriedet und geeinigt werden soll. In jener Zeit spielt Nioh, in welchen wir in die Rolle des Engländers William Adams schlüpfen und aus ganz persönlichen Gründen den weiten Weg in das Land der aufgehenden Sonne antreten und in die Irrungen und Wirrungen der Sengoku-Periode geraten. Soweit, so geschichtsbewusst. Denn den Seefahrer Adams gab es tatsächlich, ebenso wie viele andere der im Spiel auftretenden Haupt- und Nebenfiguren. Team Ninja reichert die Geschichte aber auch mit sehr viel Folklore und Sagen an und verdichtet die realen Fakten so, das in dieser düsteren Welt auch Yokai genannte Dämonen und ein vom magischen „Amrita“ besessener Bösewicht ihren Platz finden.
Im fernen England wird das magische Amrita nämlich als Wunderwaffe im Kampf gegen Spanien und damit im Wettlauf um die Weltherrschaft angesehen, entfesselt es doch übernatürliche Kräfte jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. Insofern haben die Europäer und Bösewicht Edward Kelley (den gab es ebenfalls) großes Interesse am Fortlauf der blutigen Kämpfe in Nippon. Denn je mehr Krieg herrscht und je mehr Menschen getötet werden, desto mehr Amrita wird freigesetzt.
Das sich in rund 60-80 stunden erstreckende Fantasy-Abenteuer erzählt seine durchaus interessante, aber leider auch etwas holprig inszenierte Handlung weitaus geradliniger als From Software. Wo die Kollegen auf sparsam eingesetzte Zwischensequenzen, wage Beschreibungen und eine sich durch die Welt und ihrer Erkundung eröffnende Lore setzen, da entscheidet sich Team Ninja für den klassischeren Weg. Und auch wenn die Story sicherlich kein großer Kracher ist, so hat mich die Rahmenhandlung über die gesamte Spielzeit doch gut unterhalten, nicht zuletzt aufgrund der schicken Cutscenes und der sehr guten Synchronleistung. Der Authentizität wegen sprechen die Charaktere übrigens auch in der deutschen Fassung Japanisch und Englisch, Untertitel und sämtliche Spieltexte liegen aber in Deutsch vor.
Ein Augenzwinkern Richtung Souls
Der Einstieg in Nioh fällt zunächst etwas eigenwillig aus. Eingesperrt im Tower of London, muss sich Insasse William Adams seinen Weg aus dem düsteren Kerkerverlies bahnen, bevor die lange Reise gen Japan angetreten werden kann. Dabei hat er zunächst weder Kleidung am Leib noch Waffen in der Hand. Mit den bloßen Fäusten muss er stattdessen eine brüchige Mauer einschlagen und die erste Wache KO setzen. Das ist zwar ein netter Verweis Richtung Dark Souls, wirkt als Auftakt aber etwas seltsam und vom restlichen Spiel losgelöst. Als Tutorial und Einstieg in die wichtigsten Grundlagen taugt das sich glücklicherweise kurz haltende erste Kapitel aber dennoch.
In Japan angekommen zeigt sich schließlich nach und nach die wahre Natur des Action-Rollenspiels: düster, zuweilen bockschwer und mit einem komplexen Spielsystem angereichert. Für Spieler der Alpha- und Betafassungen sind die ersten Abschnitte zwar bekanntes Gebiet und schnell abgegrast, trotzdem gibt es in den nächsten paar Dutzend Spielstunden noch einiges zu entdecken.
Ähnlich und doch ganz anders
Viel wurde im Vorfeld über die Nähe von Nioh zu Dark Souls geredet. Es ist nicht von der Hand zuweisen, dass beide Spiele ähnliche Grundzüge aufweisen, letztendlich könnten die Ansätze von Team Ninja und From Software aber nicht unterschiedlicher sein. Das beginnt bereits bei der Struktur der Welt, setzt sich im Kampfsystem fort und hört dort noch lange nicht auf. Aber alles der Reihe nach.
Das Stichwort geradlinig lässt sich hier nicht nur auf die aus narrativer Sicht klassisch erzählte Handlung anwenden, sondern auch auf die Darstellung der Welt. Es gibt keine große offene Welt, sondern einzelne Abschnitte. Diese sind in Haupt- und Nebenmissionen unterteilt und führen uns an verschiedene Orte in ganz Japan, wobei die Größe der einzelnen Gebiete schwankt. Während die Storyabschnitte in der Regel einigermaßen groß sind, führen uns die Nebenaufgaben häufig an dieselben Orte, die allerdings etwas beschnitten wurden und ein kleineres Areal abstecken. Die Architektur der Level sieht stets einen Start- und Endpunkt vor, als Knotenpunkte dienen kleine Schreine. An diesen investiert man unter anderem das gesammelte Amrita in höhere Levelstufen und die Verbesserung der verschiedenen Attribute, wie etwa Ausdauer, Stärke und Magiekraft.
Hinsichtlich der Abwechslung innerhalb der Spielwelt geht Nioh zuweilen leider etwas die Luft aus. Zwar führt uns das Spiel an verschiedene Orte quer durch ganz Japan, doch die zu 90% in Dunkelheit und Regen verorteten Settings wirken schnell abgenutzt – egal ob man sich nun in einer giftigen Silbermine, ruinösen Tempelanlagen, Burgfestungen, Höhlen oder kleinen Fischerdörfern befindet. Und auch der anfängliche Erkundungsdrang lässt mit der Zeit etwas nach. Zwar offenbart jeder Level geheime Türen und Leitern, die neue Abkürzungen eröffnen und hin und wieder gibt es gar kleine Rätseleinlagen und Aha-Effekte (Stichwort Ninja-Haus). Dennoch hätte ich mir etwas mehr Vielfalt gewünscht.
Zu berechenbar, zu wenig Vielfalt
Mehr Vielfalt hätte dem Spiel übrigens auch bei den Gegnern gut getan. Gerade ein Spiel, welches sich so stark auf die regionale Folklore bezieht, liefert doch eigentlich einen enormen Fundus an verschiedensten Kreaturen und Wesen. Doch auch hier hat Team Ninja leider etwas seine Chance vertan, denn nach spätestens 20 Stunden hat man eigentlich alle Gegnertypen gesehen und deren stets gleich abspulende Angriffsmuster verinnerlicht. Dadurch kommt etwas zu viel Routine in das Spielgeschehen, als es mir eigentlich lieb ist und die anfängliche Anspannung verfliegt allmählich.
Dadurch wird Nioh zu berechenbar. Die einzige wirkliche Ausnahme bilden die Bosse. Hier zeigt der Entwickler sehr viel mehr Variation und liefert einige erinnerungswürdige Duelle. Der Spieler wird gefordert und muss lernen die einzelnen Abläufe richtig zu lesen. Schreit die furchteinflößende Fledermaus-Lady, so wird sie einen mich paralysierenden Angriff ausführen. Also schnell ausweichen! Reckt sich die Chimäre, so prasseln gleich mehrere Blitze auf meinen Standort nieder. Attackiere ich den Riesenfrosch von hinten, so wird er einen Sprung in die Luft mit anschließender Arschbombe vollführen, der mich als Ziel hat.
Zwar gibt es auch bei den Bossen qualitative Schwankungen, insgesamt liefert Team Ninja hier aber auf einem guten Niveau ab. Es bereitet mir enorm große Freude einen neuen Bossraum zu betreten, ohne zu wissen, was mich dort erwartet. Der Freudenschrei ist riesig, wenn man nach 10, 15, 20 Versuchen und mit schweißnassen Händen am Controller endlich auch das letzten Bisschen vom Lebensbalken eines Bosses entfernt hat und das befreiende „Mission abgeschlossen“ Signal ertönt. Und es ist ein wohltuendes Gefühl wenn man in in einer der täglich wechselnden Zwielichtmission erneut auf einen verhassten Gegner trifft oder via Onlinekomponente einem anderen Spieler in Nöten helfen kann einen Boss zu legen.
Das Kampfsystem, ein Glanzstück
Obwohl Nioh hinsichtlich seiner Welt und der dortigen Vielfalt Schwierigkeiten hat, so spüre ich auch nach dutzenden Spielstunden und im Endgame angekommen noch immer keine Ermüdungserscheinungen. Warum? Wegen dem fantastischen Kampfsystem! Dieses macht nahezu alle Mankos des Spieles wett und offenbart die einstigen und wieder erstarkten Tugenden von Team Ninja. Wenn man denn unbedingt einen Vergleich heranziehen möchte, dann würde ich das Kampfsystem irgendwo zwischen Bloodborne und Ninja Gaiden verorten. Die Kämpfe weisen meist eine hohe Geschwindigkeit auf und fordern gute Reaktionsfähigkeiten, wenige Treffer vom gegnerischen Schwert führen schnell zum Bildschirmtod.
Zunächst ist es sinnvoll sich auf zwei Waffen zu fokussieren. Auswählen kann man dabei zwischen Katana, Doppel-Katana, Axt, Speer und Kusarigama. Je nach Gusto kann man natürlich stets seine Waffe wechseln, es empfiehlt sich aber für einige Stunden mit den Startwaffen warm zu werden und die Mechaniken zu verinnerlichen. Wer auf schnelle Kämpfe steht, die nah am Gegner stattfinden, der greift zu den Schwertern oder dem exotischen Kusarigama. Diese machen nicht allzu viel Schaden, ermöglichen aber schnellen Bewegungen hin und weg vom Feind. Wer aus etwas sicherer Distanz kämpfen möchte, setzt auf die behäbige Lanze und wer besonders viel Schaden austeilen möchte, der greift zur Axt.
Eine Besonderheit des Kampfsystems ist die Möglichkeit stets zwischen drei Haltungen zu wechseln. Führt man seine Waffe tief, so ist man schnell und kann binnen kürzester Zeit viele Treffer austeilen. Viel Schaden macht das allerdings nicht. Dafür ist die hohe Haltung geeignet, in der Angriffe allerdings auch nur sehr langsam ausgeführt werden können. Die mittlere Haltung ist somit der ideale Allrounder. Einigermaßen schnell und guter Schaden, hinzu die beste Ausgangsmöglichkeit zum blocken.
Zusätzlich zu den Nahkampfwaffen gibt es mit Bogen und diversen Flinten noch zwei Gattungen für den Kampf aus der sicheren Entfernung. Allen Waffen gemein ist außerdem, das sie Werte für Vertrautheit und diverse Attribute aufweisen. Je höher die Vertrautheit mit einer Waffe ist, desto besser lässt sie sich führen. Diverse Boni wie zusätzlicher Elementarschaden, bessere Blockeigenschaft, stärkerer Schaden gegen Yokai usw. sind im Kampf ebenfalls nützlich.
Komplex und motivierend
Doch damit noch nicht genug. Zusätzlich lassen sich noch unzählige Ninjutsu- und magische Fähigkeiten erlernen. Shuriken, Rauchbomben, Zauber, die Waffen für kurze Zeit einen Elementarstatus verleihen, unzählige Buffs – den Möglichkeiten sind fast keine Grenzen gesetzt und alle Fähigkeiten in einem Spieldurchlauf zu meistern ist beinahe unmöglich. Zumal sich zu jeder der fünf Nahkampfwaffen über einen Skillbaum zusätzliche Fähigkeiten wie Parieren, Blockmanöver oder Kombos freischalten lassen.
Team Ninja implementiert Nioh eine komplexe und zuweilen verschachtelte, aber auch ungemein motivierende Mechanik, die sich als großer Glücksfall und Alleinstellungsmerkmal herausstellt. Vorbildlich ist außerdem, wie gut man an die einzelnen Möglichkeiten herangeführt wird. Über das Kartenmenü kann man nämlich auch diverse Dojo-Aufgaben anwählen. Die wirken zunächst zwar etwas belanglos, zeigen mit ansteigender Schwierigkeit aber die vielen Möglichkeiten der einzelnen Waffen und Fähigkeiten und vermitteln deren Handhabung anschaulich.
Ki ist Trumpf
Ein elementarer Bestandteil der Spielmechanik ist außerdem das Ausdauer-System. Jeder Hieb mit der Waffe, jeder Block und jede Ausweichrolle verbraucht Ausdauer, im Spiel Ki genannt. Ist der entsprechende Balken auf Null gefallen, so kann sich William für einen kurzen Zeitpunkt nicht mehr bewegen und ist damit offen für mächtige Konterangriffe.
Das ist soweit nichts neues im Genre. Sehr wohl neu ist hingegen die Möglichkeit nach jeder Aktion einen Teil der Ki per gut getimten Knopfdruck zurückzugewinnen. In diesem kurzen Zeitfenster bilden sich um William blaue Partikel, woraufhin man die R1-Taste drücken sollte um einen Teil der Kondition zurückzubekommen. Hat man den Bogen einmal raus, so kann man die Ausdauer konstant im grünen Bereich halten und hat damit einen entscheidenden Vorteil im Kampf. Denn auch die Gegner verbrauchen ihre Ausdauer mit jeder Aktion.
Das Diablo Prinzip
Nicht unerwähnt sollte ich außerdem das Loot-System lassen. Jeder besiegte Gegner lässt neben Amrita und Geld nämlich auch Ausrüstungsgegenstände, neue Waffen, Munition und Items fallen. Und hier setzten die Entwickler offenbar sehr bewusst auf Masse statt Klasse. Das erinnert fast schon an Diablo. Hat es anfänglich noch Spaß gemacht die neu erhaltene Beute auf ihre Statuswerte und Boni zu inspizieren, so wurde dies mit zunehmender Spielzeit zur mühseligen Arbeit. Denn nach jeder Mission musste ich erst einmal für Minuten die überfüllte Itembox leeren. Letztlich kümmerten mich die Statuswerte der neuen Ausrüstung nach einer Weile nicht mehr, ich wählte schlicht ein Outfit welches mir optisch gefiel und tauschte meine Waffe alle paar Missionen mal aus um eine stärkere Variante zu erhalten.
Immerhin hat man die Option überflüssige Items, Waffen und Rüstungen an Schreinen in Amrita bzw. beim Schmied in Geld umzuwandeln. Beim Schmied kann man außerdem neue Waffen und Rüstungen herstellen lassen. Das habe ich selbst aufgrund der schieren Masse an Beute nie gemacht, dafür habe ich die sogenannte Seelenbild-Transformation in Anspruch genommen. Mit dieser kann man einem schwächeren Ausrüstungsgegenstand bzw. Waffe die Werte eines hochwertigeren Objekts übertragen. Außerdem kann man beim Schmied – warum auch immer – die Frisur von William verändern.
Zusammen ist man weniger allein
Auch ist es möglich Nioh mit einem Coop-Partner zu erleben. Hat man etwa Schwierigkeiten bei einer Mission oder einem spezifischen Boss, so opfert man am Schrein einen Ochoko-Becher und wartet, bis jemand dem Ruf folgt. Das funktionierte im Test ganz gut, allerdings musste ich teilweise mehrere Minuten warten, bis ein Besucher den Weg in mein Spiel gefunden hat. Wesentlich schneller klappte es, wenn ich selbst als Besucher in eine andere Welt gerufen wurde.
Hier zeigt sich Nioh übrigens etwas umgänglicher als das auf ein ähnliches Prinzip aufbauende Dark Souls. Ähnlich wie dort kann man sich aber durch das Herbeirufen eines Coop-Partners auch vieles kaputtmachen, denn die Bosse werden mit einem Zweitspieler ungemein leicht und sind teilweise binnen weniger Angriffe gelegt. Seltsam: mit der Begründung, dass das Spiel dadurch zu einfach werden würde, wurde in der finalen Version die Möglichkeit gestrichen das Spiel von Anfang bis Ende mit einem Coop-Partner anzugehen. Dies ist zwar theoretisch möglich, aber nur dann, wenn beide Spieler die entsprechenden Missionen bereits erledigt haben.
Auch fehlt bisher ein PvP-Modus. Dieser soll in den kommenden Wochen nachgereicht werden, ein konkreter Termin steht aber noch nicht fest. Dieser dürfte die Halbwertzeit des Spieles aber noch einmal verlängern, denn gepaart mit dem stimmigen Kampfsystem und fordernden Mitspielern sehe ich hier noch einiges Potenzial schlummern.
Technische Wundertüte
Noch bevor Sony seine PlayStation Pro angekündigt hat, ermöglichten die Testversionen von Nioh bereits den Wechsel zwischen verschiedenen Bildmodi. Auch in der finalen Version hat man die Möglichkeit zwischen einem Movie- und Action-Modus zu wählen. Wer auf schärfere Texturen nicht verzichten möchte, der wählt den Movie-Modus, muss dafür aber mit 30 Bildern pro Sekunde leben. 60 Frames bekommt man hingegen im Action-Modus geboten, dafür ist die Bildqualität sichtlich unschärfer. Die Bildrate wird konstant gehalten, lediglich in einigen speziellen Gebieten gibt es leichte Ruckler, die ich mir nicht so ganz erklären kann und von künftigen Patches sicherlich ausgemerzt werden dürften. Wer eine PlayStation 4 Pro besitzt, der darf die Auflösung sogar bis auf 4K hochschrauben.
Optisch ist Nioh definitiv hübsch anzusehen. Team Ninja spielt viel mit Effekten und diversen Shadern, was sich mit der Zeit leider aber etwas abnutzt. Und auch beim Art-Design ist noch Luft nach oben, niht zuletzt bei der bereits erwähnten Gestaltung der Level. Dennoch ist das düstere Fantasy-Japan eine willkommene Abwechslung und wirkt sehr stimmungsvoll. Die bedächtig eingesetzte Musik gefällt ebenfalls, ein großes Alleinstellungsmerkmal weist sie aber nicht auf.