Death Stranding 2: On the Beach REVIEW
Kaum zu glauben, dass sich die Veröffentlichung von Death Stranding in einigen Monaten bereits zum sechsten Mal jährt! Ist es wirklich schon so lange her, seit ich mit Sam Porter Bridges ein postapokalyptisches Amerika durchwandert bin? Die großen und kleinen Momente auf dem Weg vom Osten bis zum Westen des Kontinents, die – sprichwörtlich – gebauten Brücken zu anderen Figuren und mir vollkommen unbekannten Menschen, die geradezu bedrückende Leere der von der Natur zurückeroberten und von unheimlichen Geisterwesen bevölkerten Spielwelt, die vor Melancholie nur so triefende Musik, die emotionale und von bizarren Momenten und Ideen durchsetzte Geschichte, das durch und durch verspielte Gameplay: all das hallt bis heute nach und hat Death Stranding einen besonderen Platz in meinem Herz einnehmen lassen.
Lange Zeit war ich der Meinung, dieses Abenteuer bedarf keiner Fortsetzung. Die Geschichte ist abgeschlossen und steht für sich, die Figuren haben erreicht, was sie wollten und das Schicksal bekommen, welches sie verdienen. Wie es weiter geht, war bislang für mich eine Frage meines eigenen Denkens. Entsprechend war ich zwiegespalten, als Kojima Ende 2022 doch eine Fortsetzung ankündigte. Erliegt er jetzt doch wieder dem Druck einer Fortsetzung? Hat er eine wirkliche Vision, wie er die Geschichte sinnvoll fortführen kann? Wie rechtfertigt er, die Figuren noch einmal auf eine Odyssee zu schicken?
Diese Fragen begleiten mich seit der Ankündigung und ich hatte bis zur jetzigen Veröffentlichung von Death Stranding 2: On the Beach keine klare Vorstellung, was mich da eigentlich erwarten würde. Abgesehen vom Ankündigungsvideo, habe ich mich jeglichen Trailern, Screenshots und Berichten verweigert. Das einzige, was an in den zweieinhalb Jahren seit Ankündigung und Veröffentlichung an mich herangekommen ist, sind einige der neuen prominenten Verpflichtungen, darunter die Schauspielerinnen Elle Fanning und Shioli Kutsuna sowie Regisseur George Miller (Mad Max). Und so war meine Gefühlslage in dieser ganzen Zeit vor allem von einem Wunsch getragen: hoffentlich hat sich Kojima diesmal nicht verzettelt.
Wiedersehen
Die rund 100 Stunden, die ich Ende 2019 in Death Stranding verbracht habe, haben in all den Jahren nichts an ihrer Wirkung eingebüßt. Ich habe selten bei einem fiktiven Werk so oft einen Kloß im Hals gehabt, so oft geheult, aber auch gelacht und mit den Figuren und ihren Schicksalen mitgefiebert, wie in Death Stranding. Es liegt mir wie kaum ein anderes Videospiel am Herzen und hat mich nie mehr los gelassen und ich würde stärker denn je argumentieren, dass Kojima und sein Team von Kojima Productions eines der besten und wichtigsten Spiele aller Zeiten geschaffen haben. Eines, welches nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie noch stärker an Bedeutung gewonnen hat. Ich halte also wirklich viel von diesem Werk und seiner Wirkung, entsprechend war die innerliche Aufregung ziemlich groß, als Death Stranding 2: On the Beach am Erscheinungstag fertig auf meine PlayStation 5 geladen war und ich vor dem Startbildschirm saß und nur noch auf „New Game“ drücken musste.
Das Intro alleine hat binnen weniger Minuten sämtliche meiner Zweifel aus dem Weg geräumt und ist in meiner jetzigen Nachbetrachtung ein kleines Meisterstück, bei dem zusammenkommt, wofür ich Kojima auf inszenatorischer Ebene so sehr schätze. Oberflächlich ist da vor allem die visuell und grafisch absurd gute Landschaftspräsentation, auf einer interpretatorischen, atmosphärischen und der typisch augenzwinkernden Kojima-Ebene gibt es aber noch viel mehr zu entdecken. Begleitet wird das Intro von Minus Sixty One, eines der vielen Stücke, die Musiker Woodkid und Komponist Ludvig Forssell zum Soundtrack beigetragen haben. Nicht nur die Komposition, auch inhaltlich passt das einerseits melancholische und gleichzeitig schon Hymnenartige Lied perfekt und ebnet wunderbar den Einstieg zu On the Beach.
Minus sixty one
Have I ever really loved someone?
Do I deserve what I’ve got?
Nach rund zwei Minuten nähert sich die Kamera Sam (Norman Reedus) und Baby Lou und eröffnet nach einer liebevollen Interaktion der beiden den Weg ins eigentliche Spiel. Und obwohl man für ein Kojima-Spiel erstaunlich schnell die Kontrolle übernimmt und im eigentlichen Spiel ist, ist hier noch lange nicht Schluss mit dem durchinszenierten Einstieg. Denn das anschließende „Tutorial“, welches die Grundlagen der Steuerung erläutert, ist eigentlich eine Fortführung des Intros. Sam und Lou hat es mal wieder auf einen recht hohen Berg verschlagen, von welchen man noch vor Sonnenuntergang herunterkommen und sich in das in der Nähe liegende Versteck zurückziehen möchte. Jeder Schritt von Sam folgt dem Rhythmus der Melodie von Minus Sixty One. Verlässt man den „richtigen“ Pfad, ändert sich die Musik. Sie reagiert also dynamisch auf das, was ich am mache und trägt so lange, bis man schließlich im Unterschlupf ankommt. Ein kleines Detail von vielen in diesem riesigen Spiel und eines, welches bereits zeigt, wohin die Reise in diesem von Anfang bis Ende durchkomponierten Abenteuer gehen wird.
Are you there?

Rund ein Jahr ist seit den Ereignissen von Death Stranding vergangen. Seitdem versucht Sam den wachsamen Augen der UCA zu entkommen und hofft in Mexiko gemeinsam mit Lou ein sicheres Leben fernab des sich in den ehemaligen Vereinigten Staaten abspielenden Politikums führen zu können. Sams alte Weggefährtin Fragile (Léa Seydoux) findet die Beiden dennoch und bittet Sam abermals um Hilfe. Zwar ist Fragile längst nicht mehr direkt im Auftrag der UCA unterwegs, doch sie hat nach wie vor gute Kontakte in den obersten Stab der United Cities of America und bietet Sam an, ihre Beziehungen spielen zu lassen, wenn er ihr hilft. Gelingt es Sam Mexiko ins Chiral Network einzuspeisen, hätte Sam zumindest eine Chance darauf unbehelligt und ohne Verfolgung zu leben. Aus Liebe zu seinem Ziehkind geht Sam den Deal ein und macht sich noch einmal auf, um mehrere Standorte in Mexiko in die in diesem Universum existierende Variante einer Internet-Infrastruktur einzuspeisen, während Fragile auf Lou aufpasst. Doch es läuft nicht alles nach Plan…
Was genau passiert, möchte ich nicht verraten, nur so viel: es passieren Dinge, welche Sam endgültig noch einmal mit Fragile vereinen und das Duo samt ihres nach und nach wachsenden Teams am Bord des Flugschiffes DHV Magellan nach Australien übersiedeln lassen. Dort trifft man auf viele neue Gesichter und einige alte Bekannte, während man das riesige Land bereist und ein weiteres Mal entlegene Siedlungen ins Chiral Network einspeist sowie unzählige Frachten von Punkt A nach Punkt B ausliefert.
Bokka
Spielmechanisch ist On the Beach eine lupenreine Fortführung von Death Stranding und dessen Gameplay. Der Gameplay-Loop wird wie gehabt vom Zustellen von Paketen durch schwer zugängliches Terrain bestimmt. Das hat weniger mit DHL zu tun als viel mehr mit den sogenannten bokka. Der Begriff meint einen realen, in Japan existierenden Beruf. Die mit zig Paketen auf ihren Rücken geschnallten Lastenträger kann man unter anderem im Oze National Park antreffen, wo die voll bepackten bokka ihre Lieferungen zu den über 10 Berghütten des Nationalparks transportieren.
Kojima Productions haben nahezu alle Aspekte verfeinert und gute Erweiterungen und neue Hilfsmittel gefunden, die das Leben von Sam erleichtern. Sofern man diese denn in Anspruch nehmen will. Trotz der Straßen und Seilbahnen die man bauen kann, trotz einer neuen Schnellreisefunktion, trotz eines zum Hoverboard umfunktionierten Hightech-Sargs (!!!) und anderer Fahrzeuge habe ich noch immer den größten Spaß an der einfachen Bewegung zu Fuß. Sich die Spielwelt nach und nach zu erschließen, sich mit Leitern Übergänge zu bauen und mit Kletterhaken von Klippen abseilen zu können, sich später Brücken und andere Konstruktionen zu erschaffen, die nicht nur mein eigenes, sondern dank des asynchronem Multiplayer-Modus auch das Leben anderer Spielerinnen und Spieler vereinfachen, ist für mich nach wie vor unglaublich befriedigend.
Einen Unterschied machen
Und nach wie vor entfalten sich auf den oftmals mühsamen Wegen von einem zum anderen Ort geradezu magische Momente. Wenn man etwa durch einen Schneesturm watet und schließlich die Wolkendecke durchbricht, nur um mitten in der Nacht den großen, fast zum Greifen nahen Mond zu entdecken. Oder wenn man nach einer schieren Odyssee sämtliche Hilfsmittel und Vorräte aufgebraucht hat und Sam mit seiner Kondition am Ende ist und sich gerade so mit der letzten Energie dann doch noch an den Zielort schleppt, um dort mit Lob und Dank überschüttet zu werden. On the Beach wie auch sein Vorgänger verstehen es hervorragend die Dankbarkeit der NPCs zu vermitteln und ein Gefühl des Stolzes auszulösen. Man hat wirklich das Gefühl, mit dem eigenen Handeln einen Unterschied in dieser Welt zu machen.
Betörende Schönheit

Auf kein anderes Spiel trifft der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ so gut zu, wie auf DS2. Das virtuelle Australien ist geradezu betörend schön und ich kann mich einfach nicht an der Schönheit und Vielfältigkeit der Spielwelt satt sehen. Die erneut zum Einsatz kommende Decima-Engine zaubert spektakuläre Kulissen auf den Bildschirm, die mir immer wieder den Atem geraubt haben. Der neue Kontinent wird unter anderem auch für neue Wetterphänomene und mehr Fauna genutzt. Hier und da erblickt man schon einmal ein Känguru oder ein Quokka (bitte googeln, es versüßt euch den Tag!!!). Und retten kann man die putzigen Tierchen diesmal auch, indem man sie zugegebenermaßen etwas forsch einfängt, in ein Paket packt und in ein Reservat bringt. In der Wüste hingegen lassen die Grafiker dichte Sandstürme aufziehen, die jegliche Sicht erschweren. Mad Max lässt grüßen. Es ist mir geradezu schleierhaft, warum nicht mehr Studios aus der PlayStation Familie die von Guerrilla Studios entwickelte Engine nutzen, zumal die hohe grafische Qualität selbst auf der normalen PlayStation 5 für eine beinahe durchweg flüssige Performance mit 60 Frames sorgt.
Rain drops keep falling on my head

So schön die Welt auch ist, so sehr steckt sie voller Gefahren. Die geisterhaften BTs, die beached things, treiben auch in Australien ihr Unwesen. Nicht nur muss man sich mit mehr Vorsicht durch das Terrain bewegen, um einen nach wie vor eher nervigen Kampf gegen die geisterhaften Entitäten aus dem Weg gehen zu können. Auch beschädigt der einsetzende Zeitregen die Lieferungen und Hilfsmittel, die man mit sich herumträgt, was sich auf das Endresultat und die Likes auswirkt, die man bekommt.
Neben den BTs gibt es außerdem Räuber und andere Banden. Teilweise patrouillieren diese kleine Abschnitte der Spielwelt, in der Regel hocken die Marodeure aber in ihren Lagern. Auch diesen kann man recht gut aus dem Weg gehen, aber DS2 möchte mehr als der Vorgänger, dass man auch mal offensiv agieren muss. Die Kämpfe stehen etwas mehr im Fokus und sind im Vergleich zum ersten Teil auch wesentlich actionreicher. Seinerzeit mochte ich die Auseinandersetzungen mit Gegnern nicht sonderlich, zumal man vom Plot immer wieder eingetrichtert bekommen hat, dass das Töten von Menschen doch bitte zu unterlassen ist. Zur Wahrheit gehört zwar, dass man jede Menge nicht tödliche Waffen an die Hand bekommen hat. Dennoch habe ich Konfrontationen – bis auf nicht anders zu lösende Storyabschnitte – vermieden.
Spielkind
In der Fortsetzung hingegen habe ich richtiges Gefallen an den Kämpfen gefunden und diese regelrecht herausgefordert, vor allem, wenn meine Ressourcen zum Ausbau von Straßen und anderer Infrastruktur knapp wurden. Die gegnerischen Camps sind nämlich prall gefüllt mit Materialien und gestohlenen Lieferungen. Außerdem macht es einfach herrlichen Spaß, die nach und nach freischaltbaren Gadgets am lebenden Objekt auszuprobieren. Neben klassischen Waffen, die normalerweise mit Gummigeschossen gefüllt sind (getötet wird auch in DS2 bestenfalls niemand!), gibt es auch eine ganze Reihe von verspielten Waffen, darunter beispielsweise ein als Paket getarntes Raketenmehrfachgeschoss. Mit diesem kann man mehrere Ziele auf einmal anvisieren – oder alles auf einen Gegner niederprasseln lassen. Von einem Pizzabäcker hingegen kann man die hohe Kunst des Pizza-do (!!!) lernen, die im direkten Zweikampf coole Martial Arts Manöver einsetzbar macht.
Ich bin erstaunt, wie sehr sich nach wie vor die Meinung hält, Death Stranding und jetzt auch On the Beach seien mehr Film als Spiel. Ich würde dem vehement widersprechen und argeumentieren, dass die beiden Titel zwei der verspieltesten Games überhaupt sind. Die schiere Bandbreite an Möglichkeiten und Gameplaysystemen, die enorme Freude, welche das herumexperimentieren macht in dieser Sandbox machen, wird eigentlich nur von The Legend of Zelda: Breath of the Wild und Tears of the Kingdom getoppt.
Das unausweichliche Ende
On the Beach ist eines dieser Spiele, dessen Ende ich so weit wie nur möglich hinausgezögert habe. Das liegt nicht nur am Gameplay-Loop, der mich erneut bis an die 100 Stunden Marke unterhalten hat, sondern auch an der Tatsache, dass ich regelrecht Angst hatte, wie die Geschichte weitergeht. Die Crew der DHV Magellan ist mir ans Herz gewachsen. Die liebevollen Interaktion der sich nach und nach findenden Familie ist herzergreifend, und zu sehen, wie der introvertierte Sam nach und nach (für seine Verhältnisse) aufblüht, sich sogar zum ein oder anderen lahmen Dad-Joke hinreißen lässt, erwärmt beim Schreiben dieser Zeilen wieder mein Herz. Es steckt so viel Seele und Herz in diesem Spiel, seiner Geschichte und Figuren.
Während des Spielens hat sich mir die Frage immer weiter aufgedrängt, wie viele Spiele Kojima noch in sich hat. Mittlerweile ist er 61 Jahre alt, mit OD und Physint sind zwei Titel für die mehr oder weniger nahe Zukunft bereits angedacht. Außerdem wäre da noch die Verfilmung von Death Stranding sowie andere Nebenprojekte, die Kojima beschäftigt halten werden. Während der Pandemie hat eine Erkrankung bereits Spuren hinterlassen, was ihm laut eigener Aussage auch stark das ursprüngliche Skript für DS2 hat umändern lassen. Und vieles, was Kojima mittlerweile umtreibt, lässt sich aus dem Spiel auch ablesen. Vergänglichkeit, Verlust, Vaterschaft, Freundschaft, wie wir die Welt den nachfolgenden Generationen hinterlassen – all diese und viele weitere Themen stecken in dem Spiel.
Garniert ist das mit einer gewohnt von wirren, ja geradezu bizarren Momenten unterfütterten Handlung, die gerne auch mal den Holzhammer herausholt, um ihre Botschaft zu untermauern. Doch egal wie man zu Kojima und seinem Stil auch steht, so muss doch selbst der härtete Kritiker anerkennen, dass kein anderer Produzent noch eine derart starke Handschrift besitzt und sich traut, Konventionen aufzubrechen. Und wenn man ehrlich ist, lässt diese von Kapitalismus derzeit bestimmte Industrie auch niemand anderen derart viel Freiheiten, wie sie Kojima gewährt werden. Dieser nutzt seine carte blanche durch und durch und liefert mit On the Beach vielleicht sogar sein Opus magnum. So ganz sicher bin ich mir da noch nicht und ähnlich wie schon bei Death Stranding, wird sich meine Meinung wohl noch weiter ausformen müssen.
Video zum Spiel
Pro & Kontra
- eine liebevolle, eine tragische, eine humorvolle, eine aufwühlende und vor allem eine im Gedächtnis verhaftene Geschichte
- stellenweise beeindruckend durchinszenierte Momente, in denen Plot, Musik und Bilder eine Gesamtheit von geradezu aufwühlender Wucht entfalten
- das Kerngameplay wurde an den richtigen Stellen perfektioniert und um gute neue Features und Hilfsmittel erweitert
- die Kämpfe gegen menschliche Gegner machen aufgrund der vielen Möglichkeiten endlich Spaß
- wunderschöne offene Welt, welche mit neuen Wettereffekten und mehr Leben gefüllt ist
- die Kämpfe gegen die BTs sind noch immer etwas hölzern
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